Bald ...

[287] Bald werden wir wieder zu den Birken gehen,

Die mit ihren weißen Stämmen biegsam wie junge Menschen dastehen.

Bald, wenn die Winde die Wiesen kämmen und am Rain und auf Dämmen die Grasfahnen wehen,

Dann ist unser Herzschlag nicht mehr zu hemmen und will hurtig wie die Bachstrudel sich drehen.

Bald wollen wir unterm Nußbaum wieder liegen, wo die Heupferdchen uns über die Schultern fliegen,

Wo wir immer Rundschau hielten, wenn die Sommerwolken am Erdsaum wie weiße Schiffe in den blauen Raum aufstiegen.[287]

Wir gaben ihnen als Last alles, was wir je gedacht an Gedanken,

Bis dann Schiff und Fracht endlich zergingen in Schaum und versanken.

Bei dem Dornbusch der Heckenrosen, wo uns oft Blutstropfen über die Hände geflossen,

Stehen wir bald still und möchten wieder mit den rosa Röslein kosen,

Wenn sie auch mit kleinen Dolchen alle um sich stoßen.

Denn jede Rose nur allein, wie die Mägdlein, ihren Willen will;

Leicht hält keine stolze, fällt's ihr ein, fremden Händen still.

Bald gehen wir zum Steinbruch dann, wo sich nichts mehr regt, und entdecken uralt wie in einem Buch dort Bilder,

Ammonsschnecken, Schachtelhalme finden wir auf Steine eingeprägt. Denn die Steine sind nicht wilder

Als die Menschen. Und ein Stein, der sich niemals noch vom Flecke fortbewegt, hat doch der Jahrtausend' lange Strecke

Still zurückgelegt. Erde hält, was sie geliebt, umschlungen tausend Menschenalter als Versteinerungen.

Wenn am Steinbruch uns das Alter quält,

Gehen wir dem weißen Falter nach, der mit seiner leichten Sippe überm Kleefeld sich bei Flatterfesten wohl gefällt,

Fliegen mit ihm von den steinigen Wüsten zu den Honigküsten, die ihm jede lila Kleeblüt' süß entgegenhält.

Wunderbar ist's auf der Welt bestellt. Wandelbar ist sie die Bühne für des Lebens Launenschar:

Bald durchs Grüne klingt die Lust im Roggen, bald muß sie in einer leeren Muschel raunen, bald spielt sie mit Kleeduft, bald mit Menschenlocken.

Nirgends ist ein Atemstocken, nirgends eine Endlichkeit je war, nirgends bleibt das Leben müde hocken.

Bald, ach bald, sind du und ich, die wir Kind und Weib und Mann gewesen,

Bloß zwei Gräber nur, darauf Menschen von dem Grabstein Namen, Jahreszahl und Amen lesen.[288]

Wo bleibt da des Lebens Spur? Alle schwinden, Berg und Wald,

Aber immer neue Wege hin zum Leben finden alle bald. –

Bald strählst du die Ähren mit der Hand, wenn die Körner sich dann täglich mehren,

Und die Felder, die sich tief verneigen, Kornblumen am Rand dir wie tausend blaue Augen zeigen.

Gibt es denn kein schöneres Lauschen, als wenn wir, Wang' an Wange hören, wie sich rund die Ährenfelder bauschen,

Und der Sperling' Horde in dem Apfelbaum sich zankt zu der Stunde, wenn der Tag abdankt,

Und die Abendsonne unterm Wachtelschlag hinterm Wald fortwankt.


Bald mag unser Schritt nicht weiter gehen, weil wir Nachtrauch vor uns steigen sehen.

Und wir spüren süßeren Hauch, als je Blum' und Blüten geben,

Unser Blut, das sich aufgemacht, will uns bald statt der Sonne seinen Weg jetzt führen, und die Nacht will uns verweben,

Nacht will dich und mich fortheben, unser Leib muß unterm Herzschlag beben.

Denn bald ist da nur noch eine Macht, die Veracht fühlt gegen Tod und Leben,

Die, geboren, keine Mächte mehr um Rechte fragt,

Die in Allmacht ragt, die für dich das Gute und das Schlechte wagt,

Die dir nichts versagt. Die so viel genannt und viel verkannt, bald vergöttert, bald verflucht,

Sie die Licht- und Nachtgestalt, die die Menschen stets begeistert und stets heimgesucht,

Sie, die Lustgewalt, die aus nichts das All hinmalt:

Liebe, die dies Lied hinsingt. Süß ist sie, wenn sie mit uns ringt

Und dem, den sie besiegt, den Sieg auch bringt.


Liebste, bald unterm Giebel, der viel Sterne nächtlich trägt,

Hast, Geliebte, du, deine Brüste dicht an meine Brust gelegt,[289]

Und die Grille geigt durch die Ruh', als ob sie Unendliches noch wüßte;

Und der Mond steigt auf mit Lust über Äcker hin und Hald', er der still Begrüßte. –

Dann wird mir zu Sinn, als ob nichts mehr sich verschweigt, und ich niemals sterben müßte.

Quelle:
Max Dauthendey: Gesammelte Werke in 6 Bänden, Band 4: Lyrik und kleinere Versdichtungen, München 1925.
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