26.

[211] Doch ruhig geht der Schein der Sonne unter.

Durchs Rebgelände kriecht der Abendrauch

der kleinen Talstadt und der Moderhauch

des welken Laubes wie verzagt.

Ein Baum wirft sacht ein letztes Blatt herunter.

Das Weib fragt:


Doch die dort unten? sind sie je zu belehren,

daß ihnen unser herrischer Wandel dient?

Einst ritt der Held gepanzert und geschient;

heut muß sich Jeder wie ein Handelsjud wehren!

Ich will an deinem menschlichen Zukunftsglauben

nicht mit Zweifelsfingern klauben,[212]

aber gläubiger hüt'ich unser göttlich Glück!

Jeder Zwist befeindet's. Denk dich zurück:

dein nächster Freund, wie hat er's uns erschwert!

Scheint er dir jetzt nicht hassenswert?


Ihre Stirn treibt Schatten in die Flucht;

in ihrem dunklen Blick zuckt erwachend

ein Irrlicht alter Eifersucht.

Der Mann sagt lachend:


Er ist mir doch zu gottvoll zum Hasse:

ein so urdeutscher Menschheitstyrann,

daß nur der Vollblutjude Liebermann

ihn malen könnte: so schön voll Rasse.

Was sind denn hassenswerte Kreaturen?

Vorwand für unser eigen häßlich Wesen!

Der Deutsche reißt am Zopf des Chinesen,

den Britten wurmt der Eigennutz des Buren.

Du fühlst, wir leben widersittig;

doch laß uns drum den Gott nicht schmähen,

mit dem die Sittsamen sich blähen,

uns treibt er zum Aufschwung mit seinem Fittig!

Wir haben durch ihn den Weg zur Liebe gefunden!

Ich hasse nur in meinen schwachen Stunden.


Da glänzt ihre Stirn auf wie die Abendflur.

Zwei Menschen schweben über ihrer Natur.

Quelle:
Richard Dehmel: Zwei Menschen. Berlin 1903, S. 211-213.
Lizenz:
Kategorien: