13.

[33] Der Tag hat aufgehört zu schnein.

Der graue Eichwald reckt sich weiß belastet,

von einem letzten Licht betastet.

Zwei Menschen waten querforstein.

Tief Atem schöpfend sagt ein Weib und rastet:


Ich bad' so gern durch frischen Schnee,

durch den noch Keiner gegangen ist.

Wenn ich die reine Spur dann seh,

die wie vom Himmel gefallen ist,

dann kommt mein Pfad mir her aus einem Garten,

wo ich als Kind in einer Schneenacht stand,

weil ich den lieben Tag nit konnt erwarten,[34]

der mir zurückgab mein hell Heimatland,

wo Wald und Berg und Tal nach allen Seiten

in hundert lachenden Linien sich verzweigt,

wo in die leuchtenden Ewigkeiten

Rebhügel über Hügel steigt,

und all die Höhen, die blauen, verflicht in Eins

die tiefe grüne Schlucht des Rheins!

Hier aber – – Sie erschauert, schweigt,


ein Mann spricht wie voll jungen Weins:


Hier graut im Schnee mein ernstes märkisches Land,

dies Land, in dem sich Rußlands Steppen

schwer zu Deutschlands Bergen hinschleppen.

O! aber sieh's erst im Sommergewand,

wie's dann drin summt und hummelt und tummelt und tut,

wenn hoch im Abendsonnenbrand

der alten Kiefern verschämte Glut

sich aufreckt aus der Versunkenheit.

Dann atmen die Wiesen Unendlichkeit.

Dann blaut hinter den Bäumen her ein Duft

wie fernes Meer aus tiefer Kluft.

Dann ins Unabsehbare sieh ihn ziehn:

in hundert Windungen, himmelhell, den Rhin!


Er glüht, sie strahlt, küßt seine Hand;

zwei Menschen danken ihrem Vaterland.

Quelle:
Richard Dehmel: Zwei Menschen. Berlin 1903, S. 33-35.
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