36.

[155] Und bis in ihre Leuchtturmklause

sucht das Walten der Welt sie auf.

Unten pocht und schwebt im Dunkeln des Meeres Gebrause;

und den kleinen Tisch deckt bunt ein Haufen

Briefe aus aller Herren Ländern.

Der Mann steht lesend; das Weib spielt zaudernd

mit den abgerissenen Rändern.

Endlich sagt sie; wie planlos plaudernd:


Lux, ich glaube: könnten die Menschen erraten,

mit welcher Eintracht wir uns beglücken,

ja, ich glaube, sie teilten unser Entzücken,

die selbst, denen wir Leides taten.[156]

Denn gelt: auch Dir doch würd'es gelingen,

diesem Glück alles Andre zum Opfer zu bringen?


Er schweigt – sie sucht seinen Blick – ihr graut:

sein Mund bewegt sich, aber die bleichen

Lippen geben keinen Laut.

Er starrt auf ein Blatt mit seltsamen Zeichen.

Die Chiffern schwanken. Ihr dröhnt das Meer.

Fremd tönt seine Stimme zu ihr her:


Es hat eine Seele sich befreit –

ich hielt ihr Glück einst in Händen.

Ich versprach ihr lauter Seligkeit –

das ist nun alles zu Ende.

In williger Demut schien sie's zu dulden;

es war Stolz – stolz schwieg sie zu meinem Verschulden.

Ja: hier steht es von Helfershand geschrieben:

ich habe sie in den Tod getrieben.

Ich ließ die Verzweiflung über sie kommen.

Ich hab meinem Kind die Mutter genommen!

Verlangst du noch Opfer? – Ich glaube: nit!

Mir scheint, Mutter Isis: wir sind quitt.


Er setzt sich, sonderbar gelassen.

Unten schwebt und pocht im Dunkeln des Meeres Gebrause.

Stechend bebt das Licht der einsamen Klause.

Zwei Menschen suchen sich zu fassen.

Quelle:
Richard Dehmel: Zwei Menschen. Berlin 1903, S. 155-157.
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