Alcine

[25] Mangogul ging früher als gewöhnlich zur Großsultanin. Alle Damen saßen am[25] Spieltisch. Er überlief mit seinen Augen diejenigen, deren guter Name fest gegründet war, entschloß sich seinen Ring an einer unter ihnen zu versuchen, und war nur verlegen über die Wahl. Noch stand er ungewiß, mit wem er beginnen sollte, als er eine junge Hofdame Mamimonbandas am Fenster gelehnt erblickte. Sie neckte sich mit ihrem Gemahl. Das befremdete den Sultan. Denn sie waren seit mehr als acht Tagen verheiratet. Sie hatten sich in einer Loge in der Oper gezeigt, sie waren in einem Wagen zum kleinen Korso, ins Bois de Boulogne und den Prater gefahren, sie hatten gemeinschaftliche Visiten beendet, und nunmehr erlaubte ihnen das Herkommen, sich nicht mehr zu lieben, ja nicht einmal zu begegnen. »Ist das Kleinod«, dachte Mangogul bei sich, »ebenso toll als seine Gebieterin, so werden wir ein erfreuliches Selbstgespräch vernehmen.« Indem erschien die Favorite. »Willkommen,« raunte der Sultan ihr zu, »ich habe unterdessen mein Netz ausgeworfen.« »Nach wem?« fragte Mirzoza.[26] »Nach den Leuten, die Sie dort am Fenster mitsammen albern sehn,« antwortete ihr Mangogul mit zwinkernden Augen. »Ein schöner Anfang,« versetzte die Favorite.

Alcine, so hieß die junge Dame, war lebhaft und reizend. Wenige Frauenzimmer des großherrlichen Hofes waren liebenswürdiger, keine hatte mehr Liebhaber. Ein Emir des Sultans hatte sie sich in den Kopf gesetzt. Was die Lästerzungen von Alcinen verbreiteten, blieb ihm nicht verborgen; es machte ihn stutzig, aber er beobachtete das Herkommen: er fragte seine Geliebte, was er davon denken sollte? Alcine schwur ihm, diese Verleumdungen wären die Rache einiger Gecken, die stumm geblieben wären, wenn sie Gründe gehabt hätten zu reden; übrigens sei ja keiner von beiden gebunden, und sie überlasse es ihm, davon zu glauben, was ihm gut dünke. Der feste Ton dieser Antwort überzeugte den verliebten Emir von der Unschuld seiner Geliebten. Er schloß den Handel, und erhielt den Namen Gemahl mit allen seinen Vorrechten.[27]

Der Sultan drehte seinen Ring gegen sie. Ein Ausbruch lauten Gelächters, dessen sich Alcine, bei einigen abgeschmackten Reden ihres Gemahls, nicht hatte erwehren können, ward durch die Wunderkraft des Ringes plötzlich gehemmt, und unter ihren Röcken hervor vernahm man alsbald ein Gemurmel: »Endlich hab ich doch einen Titel. Das ist mir herrlich lieb. Rang geht eben über alles. Wer meinem ersten Rat gefolgt wäre, hätte etwas Besseres für mich gefunden, als einen Emir: aber ein Emir ist immerhin besser als nichts.« – Bei dieser Stelle verließen alle Damen das Spiel, um zu suchen, woher die Stimme käme. Dieser Aufstand verursachte viel Geräusch. »Stille,« sprach Mangogul, »dies verdient Aufmerksamkeit.« Man ward still, und das Kleinod fuhr fort: »Ein Gemahl muß ein ansehnlicher Gast sein, weil sein Empfang soviel Vorkehrungen nötig macht. Was für Sorgfalt! Welch eine Sündflut von Myrtenwasser! Wenn man mich noch vierzehn Tage länger so hielte, so war es aus mit mir, so verschwand ich aus der[28] Reihe der Wesen, und der Herr Emir konnten sich anderswo einquartieren, oder Zaubermittel aufsuchen, um mir meine natürliche Gestalt wiederzugeben.« – Hier, versichert mein Gewährsmann, erblaßten alle Damen, sahen sich sprachlos an, machten ernste Gesichter, die man der Furcht zuschrieb, daß das Gespräch möchte allgemein werden, und nicht bei einer allein bleiben. – »Mir scheint freilich,« fuhr Alcinens Kleinod fort, »man brauchte für den Sultan nicht soviel Umstände zu machen; aber ich erkenne die Klugheit meiner Herrin an. Sie sorgte für den schlimmsten Fall, und ich ward für den Herrn eingerichtet, als wär es für seinen kleinen Jockey.«

Das Kleinod wollte in seinen ungewöhnlichen Enthüllungen fortfahren, als der Sultan, der das Ärgernis bemerkte, welches die züchtige Mamimonbanda an diesem seltsamen Auftritt nahm, den Ring zurückzog, und den Redner unterbrach. Der Emir war bei den ersten Worten des Kleinods seiner Frau verschwunden. Alcine verlor[29] die Fassung nicht und stellte sich eine Zeitlang ohnmächtig. Unterdessen flüsterten die Damen einander zu, sie habe Nervenkrämpfe. »Jawohl, Nervenkrämpfe,« sagte ein Stutzer, »die Ärzte nennen dergleichen hysterische Zufälle, das heißt Sachen, die aus der untern Region kommen. Es gibt dagegen ein sehr bewährtes Mittel. Etwas Kraftbewegendes, Kraftannehmendes, Kraftmitteilendes und Kraftbelebendes – ich werd' es den Damen vorlegen.« Man lächelte über diese Spötterei, und unser Zyniker fuhr fort: »Das ist sehr wahr, meine Damen. Ihr untertäniger Diener hat sich dieses Mittels bedient, eine Abnahme seiner Substanz zu hintertreiben.« »Herr Graf!« sagte ein junges Frauenzimmer, »was meinen Sie damit?« – »O Gnädigste,« antwortete der Graf, »das ist ein Umstand, dem jedermann ausgesetzt ist. Mein Gott, so etwas widerfährt uns allen!«

Die verstellte Ohnmacht nahm ein Ende. Alcine setzte sich so unerschrocken zum Spiel, als habe ihr Kleinod nichts gesagt, oder als[30] hab' es die schönsten Dinge von der Welt erzählt. Sie war sogar die einzige, die ohne Zerstreuung spielte. Diese Sitzung trug ihr beträchtliche Summen ein. Die andern wußten nichts was sie thaten, kannten ihre Karten kaum, vergaßen was heraus war, vernachlässigten ihre Inviten, trumpften zur Unzeit, und begingen tausend andere Fehler, die Alcine sich zunutze machte. Endlich hörte man auf zu spielen, und jedermann fuhr nach Hause.

Der Vorfall machte gewaltiges Aufsehn, am Hofe, in der Stadt, und im ganzen Reich. Er ward der Gegenstand vieler Epigramme. Die Rede von Alcines Kleinod ward gedruckt, erläutert, verbessert, vermehrt, und von allen schönen Geistern des Hofes mit Anmerkungen begleitet. Der Emir kam in ein Volkslied, seine Frau ward unsterblich. Im Schauspielhause zeigte man auf sie. Auf den Spaziergängen lief man ihr nach. Um sie her war ein Gedränge, und dann hörte sie murmeln: »das ist sie! ja die! ihr Kleinod hat zwei Stunden lang, hintereinander, gesprochen!« Alcine ertrug diesen neuen[31] Ruhm mit bewundernswürdiger Kaltblütigkeit. Sie blieb bei diesen und tausend andern Äußerungen viel ruhiger als die andern Damen. Diese fürchteten alle Augenblick, daß auch ihr Kleinod anfangen würde zu schwatzen. Aber gar die Begebenheit des nächsten Kapitels brachte sie vollends in Verwirrung.

Da die Gesellschaft aufbrach, gab Mangogul der Favorite den Arm und führte sie auf ihr Gemach. Sie war bei weitem nicht so heiter und fröhlich, als sie gewöhnlich zu sein pflegte. Sie hatte beträchtlich im Spiel verloren, und die Wirkung des fürchterlichen Ringes versenkte sie in ein Nachdenken, aus dem es nicht so leicht war sich zu erholen. Sie kannte die Neugier des Sultans; und das Versprechen eines Mannes, der mehr eigensinnig als verliebt war, schien ihr nicht zuverlässig genug, um sie von aller Unruhe zu befreien. »Was fehlt Ihnen, Wonne meiner Seele?« fragte Mangogul, »warum sind Sie so in Gedanken?« »Nie hab ich mit so beispiellosem Pech gespielt,« antwortete Mirzoza,[32] »Ich hatte zwölf Bilder; ich glaube, ich habe den ganzen Abend nicht drei Stiche gemacht.« »Das tut mir leid,« sagte Mangogul. »Aber was halten Sie von meinem Geheimnis?« »Gnädigster Herr,« antwortete Mirzoza, »ich bleibe dabei, es kommt vom Teufel. Es wird Ihnen unstreitig Vergnügen machen, aber dies Vergnügen wird schreckliche Folgen haben. Sie verbreiten Unruhe in allen Familien, den Männern geht ein Licht auf, die Liebhaber verzweifeln, die Frauen sind verloren, die Mädchen entehrt, und weiß ich, was sonst noch geschehn kann? O gnädigster Herr, ich beschwöre Sie ...« »Bei meiner Seele!« unterbrach Mangogul, »Sie reden ja wie ein Bußprediger! Ich möchte wohl wissen, warum Ihnen gerade heute die Liebe des Nächsten so nahe zu Herzen geht? Nein, Madame, nein, ich behalte meinen Ring. Mag den Männern ein Licht aufgehn, mögen die Liebhaber verzweifeln, die Weiber zugrunde gehen und die Mädchen entehrt werden, wenn ich mich nur dabei gut unterhalte. Bin ich[33] denn umsonst Sultan? Auf Wiedersehn, Madame! Es steht zu hoffen, daß die folgenden Auftritte possierlicher sind, wie der erste, und daß Sie selbst mit der Zeit Geschmack daran finden« – »Das glaub' ich nicht, gnädigster Herr,« erwiderte Mirzoza. »Und ich bürge Ihnen dafür. Sie werden die Kleinode unterhaltend finden, so unterhaltend, daß Sie sich nicht erwehren können, Ihnen Gehör zu geben. Was sagen Sie, wenn ich sie Ihnen als Abgesandte zuschicke? Die Langeweile ihrer Reden will ich Ihnen ersparen, wenn Sie es wünschen; aber die Erzählung ihrer Begebenheiten sollen Sie aus ihrem Munde erfahren, oder aus dem meinigen. Der Entschluß steht fest, davon geh ich nicht ab. Lassen Sie es sich also angelegen sein, mit den neuen Sprechern vertraut zu werden.« Darauf umarmte er sie, ging in sein Kabinett, überdachte den Versuch, den er angestellt hatte, und zollte dem Genius Cacufa seinen andächtigen Dank.

Quelle:
Denis Diderot: Die geschwätzigen Kleinode. München 1921, S. 25-34.
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