Die beiden Betschwestern

[101] Seit einigen Tagen blieben die Kleinode vor dem Sultan in Ruhe. Er war mit wichtigen Geschäften überhäuft, und so blieben die Wirkungen des Ringes aus. In dieser Zwischenzeit machten sich zwei Damen aus Branza zum Gelächter der ganzen Stadt.

Sie waren berufsmäßige Betschwestern. Sie trieben ihre Liebeshändel in möglichster Stille und genossen eines so guten Rufes, das ihn selbst die Bosheit ihrer Mitschwestern verschonte. Man sprach in den[101] Moscheen nur von ihrer Tugend. Die Mütter hielten sie ihren Töchtern zum Muster vor, die Männer ihren Frauen. Beider Hauptgrundsatz war, Ärgernis erregen sei die schlimmste Sünde. Diese Gleichheit, ihre Gesinnungen und vorzüglich die Schwierigkeit, ohne große Mühe ihren Nächsten zu erbauen, der so scharfsichtig ist und so gerne Arges denkt, war mächtiger als die Verschiedenheit ihrer Gemütsstimmung und erhielt eine genaue Freundschaft zwischen beiden.

Zelidens Brahmine verfügte sich zu Sophien; Sophie fand ihren Gewissensrat bei Zeliden; jede brauchte nur mit sich selbst zu Rate zu gehn, um zu wissen, wie es mit dem Kleinod der andern stände. Aber die allgemein verbreitete sonderbare Plauderhaftigkeit der Kleinode setzte beide in peinliche Besorgnis. Sie sahen die Zeit herannahen, wo ihnen die Larven entfallen, wo sie den guten Namen verlieren würden, um dessentwillen sie sich fünfzehn Jahre lang verstellt und geängstigt hatten, was ihnen jetzt große Ungelegenheiten bereitete.[102] Es gab Augenblicke, besonders für Zeliden, wo sie gern ihr Leben hingegeben hätten, um so verschrien zu sein, als der größte Teil ihrer Bekannten. – »Was wird die Welt sagen? Wie wird mein Mann mich behandeln? Wie? Diese so zurückhaltende, so bescheidene, so tugendsame Frau, diese Zelide ist nicht besser wie die andern? Ich möchte verzweifeln, wenn ich daran denke. O ich möchte es am liebsten nie wieder tun, nie jemals getan haben!« rief Zelide erregt aus.

Sie befand sich gerade bei ihrer Freundin, die eben diese Betrachtungen anstellte, aber nicht so sehr dadurch erschüttert ward. Zelidens letzte Worte brachten sie zum Lächeln. »Lachen Sie nur, gnädige Frau, halten Sie sich nicht zurück, lachen Sie laut auf,« sprach Zelide empfindlich. »Sie haben wohl Ursache.« – »Ich kenne wie Sie,« antwortete Sophie kalt, »die Größe der Gefahr, die uns droht. Aber wie sollen wir ihr entgehn? Denn das werden Sie mir doch wohl zugeben, daß Ihr Wunsch unerreichbar scheint?«[103]

»Denken Sie auf ein Mittel,« versetzte Zelide. »Was soll ich mich länger quälen?« fragte Sophie, »mir fällt nichts ein. Wir können uns freilich in der Provinz vergraben; aber die Vergnügungen Banzas verlassen und dem Leben entsagen, ist meine Sache nicht. Damit würde mein Kleinod schlecht zufrieden sein!« – »Was machen wir also?« – »Ja, was machen wir nur?« – »Wir überlassen alles der Vorsehung und lachen schon jetzt, wie ich es eben tat, über jede Nachrede. Ich habe bis jetzt nichts unversucht gelassen, einen guten Namen mit Vergnügungen zu vereinigen. Muß man einem von beiden durchaus entsagen, so wollen wir wenigstens unser Vergnügen behalten. Bisher waren wir einzig in unsrer Art. Von nun an gleichen wir hunderttausend anderen. Scheint Ihnen das so hart?«

»Ja wohl,« erwiderte Zelide. »Es scheint mir allerdings hart, daß ich denen gleichen soll, welchen ich bis jetzt die tiefste Verachtung bezeugte. Diese Schmach zu vermeiden, geh' ich lieber bis ans Ende der Welt!«[104]

»Glück auf den Weg, meine Liebe,« sagte Sophie, »ich bleibe hier. Aber noch eins: sehn Sie sich doch vorher nach einem Mittel um, das Ihrem Kleinod verbietet, unterwegs zu plaudern.«

»Wahrlich,« versetzte Zelide, »der Scherz ist hier sehr übel angebracht, und Ihre Unerschrockenheit ...«

»Sie irren, Zelide, ich bin nichts weniger als unerschrocken. Aus bloßer Ergebung laß ich den Dingen ihren Lauf, den ich nicht ändern kann. Ehrlos sowie so, will ich mir wenigstens den Kummer darüber bis zuletzt aufsparen.«

»Entehrt!« rief Zelide mit Tränen. »Entehrt! Welch ein Schlag! Das überleb' ich nicht! Verdammter Bonze, der du mich ins Verderben stürztest! Ich liebte meinen Gemahl. Ich war tugendhaft geboren, ich würde ihn noch lieben, hättest du nicht dein Amt und mein Vertrauen gemißbraucht! Entehrt, teure Sophie!«

Sie konnte nicht fortfahren, ein Schluchzen unterbrach ihre Worte, und sie warf[105] sich verzweifelnd auf ein Sofa, Zelide fand nun den Gebrauch ihrer Stimme wieder, um weinend auszurufen: »Ach, liebste Sophie, daran gehe ich noch zugrunde. Ich muß zugrunde gehen. Nein, meinen guten Namen überleb' ich nicht!«

»Zelide, liebe Zelide, übereilen Sie sich mit dem Sterben nicht,« sagte Sophie, »vielleicht, wer weiß ...« »Mir hilft kein Vielleicht! Ich muß sterben!« – »Vielleicht könnte man doch ...« – »Man kann nichts, sag' ich Ihnen. Aber was meinen Sie denn? was könnte man?« – »Man könnte vielleicht den Kleinoden das Plaudern wehren.« – »Ach Sophie! Sie suchen mich durch falsche Hoffnung zu trösten! Sie hintergehn mich!« – »Nein, nein, ich hintergehe Sie nicht, hören Sie nur auf mich, statt dieser törichten Verzweiflung nachzugeben. Man erzählt mir viel von Frenicol, Colipilo, von Mundknebeln und von Maulkörben.« – »Was haben Frenicol, Colipilo und die Maulkörbe mit der Gefahr zu tun, die uns bedroht?[106] Was soll mein Galanteriehändler hier? Und was ein Maulkorb?«

»Das will ich Ihnen sagen, meine Liebe. Ein Maulkorb ist eine vortreffliche Erfindung. Frenicol hat sie erdacht, die Akademie genehmigt und Colipilo verbessert. Darum nennt dieser letztere sich den Erfinder.« – »Nun wohl, was hilft mir diese treffliche Erfindung Frenicols, die die Akademie genehmigte und ein Esel verbesserte?« – »Sie sind von einer Heftigkeit, die über alle Begriffe geht. Diese Maschine wird einfach angemacht, und das Kleinod wird sofort stille, ob es nun will oder nicht.« – »Ist das wirklich wahr, meine Liebe?« – »Die Leute sagen's.« – »Das muß man gleich untersuchen,« versetzte Zelide.

Sie zog an die Klingel, ein Kammermädchen erschien, sie schickte nach Frenicol. »Warum nicht nach Colipilo?« fragte Sophie. »Frenicol macht weniger Aufsehen,« antwortete Zelide. Der Juwelier ließ nicht auf sich warten. »Willkommen, Frenicol,« sagte Zelide. »Eilen Sie zwei[107] Frauenzimmer aus einer großen Verlegenheit zu reißen.« – »Was befehlen Sie, meine Gnädigen? Brauchen Sie etwas von Kleinoden?« – »Nein, wir haben selbst zwei Kleinode und möchten gern ...?« – »Sie unter der Hand veräußern? Gut, meine Gnädigen, lassen Sie sehn. Ich nehm sie oder tausche sie um ...« – »Sie irren sich, Herr Frenicol, wir haben nichts auszutauschen.« – »Ach, ich verstehe! Ihre Gnaden besitzen etwa ein Paar Ohrgehänge, die Sie so verlieren möchten, daß die gnädigen Herrn Gemahls sie bei mir wiederfänden?« – »Keineswegs. Aber so sagen Sie ihm doch, Sophie, worum es sich handelt!« – »Frenicol,« fuhr Sophie fort, »wir brauchen zwei ... Was, Sie verstehn mich immer noch nicht ...?« – »Wie soll ich verstehn, gnädige Frau? Sie sagen ja nichts?« – »Man kann doch auch gewisse Dinge nicht bei Namen nennen,« antwortete Sophie, »wenn man auf Sittsamkeit hält.« – »Aber,« erwiderte Frenicol, »der Name gehört doch zur Sache. Ich bin ja Juwelier und[108] kein Rätselrater!« – »Diesmal aber müssen Sie dennoch raten.« – »Je mehr ich Sie ansehe, meine Gnädigen, desto minder versteh' ich Sie. Wenn man so jung, so reich und so schön ist wie Ihre Gnaden, so braucht man sich doch nicht mit nachgemachten Dingen zu behelfen. Übrigens muß ich Ihren Gnaden gestehn, ich handle mit so etwas nicht. Mit solchem Zeug mögen junge Kollegen handeln, die eben erst anfangen.«

Unsre frommen Damen fanden das Mißverständnis des Galanteriehändlers so lustig, daß sie beide zu gleicher Zeit in ein Gelächter ausbrachen, worüber er die Fassung verlor. »Erlauben mir Ihre Gnaden,« sagte er, »daß ich mich untertänigst empfehle. Ich hoffe, Ihre Gnaden haben Spaß genug mit mir gehabt.« »Bleiben Sie, bleiben Sie, lieber Herr,« sprach Zelide und lachte immer fort, »das war unsre Absicht nicht. Aber aus Mangel an Verständnis verfielen Sie auf solche possierliche Gedanken ...« – »Es liegt nur an Ihro Gnaden, ob ich endlich besser verstehe.[109] Was steht zu Ihrem Befehl?« – »Lassen Sie mich nur erst auslachen, Frenicol, ehe ich Ihnen antworte.«

Zelide lachte bis zum Ersticken. Der Galanteriehändler dachte bei sich, sie habe hysterische Zufälle oder sei verrückt geworden, und gab sich in Geduld. Endlich hörte Zelide auf. »Nun gut,« sprach sie, »von unsern Kleinoden ist die Rede; von unsern, verstehn Sie, Herr Frenicol? Es ist Ihnen wahrscheinlich bekannt, daß es seit einiger Zeit Kleinode gibt, die wie Elstern schwatzen: nun möchten wir nicht gern, daß die unsrigen diesem bösen Beispiel folgten.« – »Ah! jetzt versteh ich alles,« erwiderte Frenicol, »Ihro Gnaden brauchen einen Maulkorb.« – »Sie haben's getroffen. Man hat mir ja immer gesagt, Herr Frenicol sei nicht auf den Kopf gefallen ...« – »Ihro Gnaden sind zu gnädig. Ich führe solche Maulkörbe von allen Sorten und eile sogleich, Ihro Gnaden einige vorzulegen.«

Frenicol ging fort. Unterdessen umarmte Zelide ihre Freundin, dankte ihr[110] für ihren Rat, »und ich,« sagt der gelehrte Afrikaner, »ich ruhte derweil ein wenig aus, bis er wieder kam.«

Quelle:
Denis Diderot: Die geschwätzigen Kleinode. München 1921, S. 101-111.
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