1.

[214] Die Sonne sinkt. Ein brechend Mutter-Auge

Hängt sie noch einmal auf der stillen Erde

Und zittert in des Sees durchglühten Wogen.

Ja, dräng Dich an sie, Welten-Kind, und sauge

Den Segen auf, eh er verdunkelt werde,

Und eh an dem erstarrten Himmelsbogen

Die Nacht kommt aufgezogen.

Auch meine Sonn, ich fühl es, neigt zum Ende;

So möge Dich ihr letzter Strahl verklären!

Ob ich die Kraft, die schwindende, verschwende,

Was tuts? Sie kann ja doch nicht ewig währen.

Ein Bild noch – Deins! – will ich in Glorie fassen

Und lächelnd als Vermächtnis hinterlassen.

Quelle:
Franz von Dingelstedt: Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters, Tübingen 1978, S. 214-215.
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Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters (Deutsche Texte)