1.

[85] Weib, gib mir Deckel, Spieß und Mantel,

Der Dienst geht los, ich muß hinaus.

Noch einen Schluck ... Adies Mariandel!

Ich hüt' die Stadt, hüt' du das Haus!

Nun schrei' ich wieder wie besessen,

Was sie nicht zu verstehen wagen

Und was sie alle Tag vergessen:

Uht! Hört, Ihr Herrn, und laßt Euch sagen!


Schnarcht ruhig fort in Euren Nestern

Und habt auf mein Gekreisch nicht acht!

Die Welt ist akkurat wie gestern,

Die Nacht so schwarz wie alle Nacht.

Auch welche Zeit, will Niemand wissen,

's gibt keine Zeit in unsren Tagen,

Duckt Euch nur in die warmen Kissen,

Die Glocke die hat nichts geschlagen!


Laß keiner sich im Schlaf berücken

Vom (vulgo Zeitgeist) Antichrist,

Und sollte wen ein Älplein drücken,

Dankt Gott, daß es nichts Ärgres ist.

Das Murren, Meistern, Zerrn und Zanken,

Das Träumen tut es freilich nicht,

Drum schluckt sie runter, die Gedanken,

Bewahrt das Feuer und das Licht!


Auch wackelt nicht im bösen Willen

An Eurem Bett und räkelt nicht,

Die Zipfelmütze zieht im Stillen

Zufrieden übers Angesicht.

Der Hund im Stall, der Mann beim Weibe,

Die Magd beim Knecht, wie Recht und Pflicht,

So ruht und rührt Euch nicht beileibe,

Auf daß der Stadt kein Schad' geschicht!


Und wann die Nacht, wie alle Nächte,

Vollendet hat den trägen Lauf,

Dann steigt, doch stets zuerst das rechte

Bein aus den Federn, sittsam auf![85]

Labt Euch an dem Zichorientranke

Und tretet Eure Mühlen gern,

Freut Euch des Lebens voller Danke

Und lobt, nächst Gott, den Landesherrn!

Quelle:
Franz von Dingelstedt: Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters, Tübingen 1978, S. 85-86.
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