1.

[150] Mel. Das Volk steht auf, der Sturm bricht los.


Herr Michel und der Vogel Strauß

Sind leibliche Geschwister:

Aus diesem guckt's Kamel heraus,

Aus jenem der Philister.


Sie flögen gern und könnten's auch,

Die Schwingen sind gegeben,

Doch bleiben sie nach altem Brauch

Fein an der Erde kleben.


Der eine birgt den Kopf im Sand

Und läßt den Steiß sich blasen,

Der andre wühlt sich mit Verstand

In Bücher ein und Phrasen.


Indes hat man dem Strauß geschickt

Die Federn ausgerissen,[151]

Indes die Fremde sich geschmückt

Mit Michels Geist und Wissen.


Sie lassen alle beide sich

Von einem Kinde leiten,

Das spornt und treibt sie ritterlich

Und lacht: Ich will Euch reiten.


Und was der Strauß für einen Wanst

Besitzt und welchen Magen!

– Nur du, mein deutscher Michel, kannst

Und mußt noch mehr vertragen!

Quelle:
Franz von Dingelstedt: Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters, Tübingen 1978, S. 150-152.
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