1.

[194] Vom Wiener Wald der letzte Rest,

Wer will ihn sehn verdorren?

Ist sonst ein rechter Baum gewest,

Ist jetzt ein schlechter Knorren.

Es heißt: ein kluger Schlossersmann,

Um seine Kunst zu weisen,

Der schweißte in die Wand ihn an

Und hing ein Zauberschlößlein dran,

Das ist der Stock im Eisen!


Du Wiener Wald, du grüner Wald,

Wie bist du schlimm behandelt,

Aus freiem Waidmanns-Aufenthalt

Zum Tandlermarkt verwandelt![195]

In deinem Laub spazieren ging

Die Hirschkuh mit den Geißen,

Jetzt steht von dir in Schloß und Ring

Nur noch ein zwerghaft Krüppel-Ding,

Das ist der Stock im Eisen!


Und wer vom Handwerk lobesam

Als wackrer Schmied-Geselle

Zur Kaiserstadt gezogen kam,

Besieht sich diese Stelle;

Er dreht am Schloß wohl hin und her,

Versucht's auf alle Weisen,

Doch öffnen kann er's nimmermehr,

Ja, murrt er, das ist halt zu schwer,

Das ist der Stock im Eisen!


Darauf in den gefeiten Baum

Schlägt er als Gilde-Zeichen

Ein Näglein ein, wo just noch Raum

Vor Näglein seines Gleichen.

Ei, seht, der ist mir zugedeckt,

Kaum noch ein Baum zu heißen!

Und oben, links am Stamme, steckt

Das Schlößlein, das sie alle neckt,

Das ist der Stock im Eisen!


Und doch, Herr Meister, hüte dich!

Wenn nun die Burschen kämen

Und flugs statt Zang' und Dieterich

Die – Schmiedehämmer nähmen!?

Was nicht mit Kunst zu öffnen ist

Läßt sich vielleicht – zerreißen, –

Und herrlich, wenn zu bessrer Frist

Neu-grünend in die Höhe schießt

Der alte Stock im Eisen!

Quelle:
Franz von Dingelstedt: Lieder eines kosmopolitischen Nachtwächters, Tübingen 1978, S. 194-196.
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