VI.

[103] Ich komme jetzt zu der Schilderung des zum Teil spaßhaften Ereignisses, mit welchem meine Erzählung eigentlich erst beginnt.[103]

In den letzten Tagen des August kehrten endlich auch Drosdows zurück. Ihr Eintreffen erfolgte etwas früher als die von der ganzen Stadt seit langem erwartete Ankunft ihrer Verwandtin, unserer neuen Frau Gouverneur, und brachte einen bemerkenswerten Eindruck in der Gesellschaft hervor. Aber über all diese interessanten Ereignisse werde ich später reden; jetzt beschränke ich mich auf die Bemerkung, daß Praskowja Iwanowna der sie ungeduldig erwartenden Warwara Petrowna ein sehr beunruhigendes Rätsel mitbrachte: Nikolai hatte sich von ihnen schon im Juli getrennt und, nachdem er am Rhein mit dem Grafen K*** zusammengetroffen war, sich mit diesem und der Familie desselben nach Petersburg begeben (NB. Der Graf hatte drei erwachsene Töchter).

»Von Lisaweta habe ich infolge ihres Stolzes und ihrer Verstocktheit nichts erfahren können,« schloß Praskowja Iwanowna; »aber ich habe mit meinen eigenen Augen gesehen, daß zwischen ihr und Nikolai Wsewolodowitsch etwas vorgefallen ist. Ich weiß die Ursachen nicht; aber ich glaube, es wird zweckmäßig sein, wenn Sie, meine liebe Freundin Warwara Petrowna, nach den Ursachen Ihre Darja Pawlowna fragen. Meiner Ansicht nach ist Lisa gekränkt worden. Ich bin heilfroh, daß ich Ihnen endlich Ihren Liebling Darja Pawlowna habe wiederbringen können, und übergebe sie Ihnen hiermit. Nun bin ich sie los.«

Sie sprach diese giftigen Worte in merklicher Gereiztheit. Es war klar, daß die »apathische Frau« sie sich schon vorher zurechtgelegt und sich im voraus auf ihre Wirkung gefreut hatte. Aber Warwara Petrowna war nicht diejenige,[104] die sich durch affektvolle Reden und durch Rätsel verblüffen ließ. Sie verlangte energisch ganz genaue, ausreichende Erklärungen. Praskowja Iwanowna stimmte ihren Ton sofort herab, brach schließlich sogar in Tränen aus und ging zu den wärmsten Freundschaftsversicherungen über. Diese reizbare, aber gefühlvolle Dame hatte ebenso wie Stepan Trofimowitsch fortwährend ein Bedürfnis nach wahrer Freundschaft, und ihre hauptsächlichste Klage über ihre Tochter Lisaweta Nikolajewna bestand gerade darin, daß ihre Tochter nicht ihre Freundin sei.

Aber aus allen ihren Erklärungen und Herzensergüssen ergab sich mit Sicherheit nur das eine, daß tatsächlich zwischen Lisa und Nikolai ein Zerwürfnis stattgefunden hatte; aber von welcher Art dieses Zerwürfnis war, darüber konnte Praskowja Iwanowna sich offenbar keine bestimmte Vorstellung machen. Schließlich zog sie nicht nur die Beschuldigungen, die sie gegen Darja Pawlowna ausgesprochen hatte, vollständig zurück, sondern sie bat auch ausdrücklich, ihren Worten von vorhin keinerlei Bedeutung beizulegen, weil sie sie »in der Erregung« gesprochen habe. Kurz, alles kam sehr unklar heraus, sogar verdächtig. Nach ihrer Darstellung hatte Lisas »eigensinniges, spöttisches Wesen« den ersten Anlaß zu dem Zerwürfnisse gegeben; der »stolze« Nikolai Wsewolodowitsch habe trotz all seiner Verliebtheit die Spöttereien nicht ertragen können und sei selbst spöttisch geworden. »Bald darauf«, erzählte sie, »wurden wir mit einem jungen Manne bekannt, ich glaube, einem Neffen Ihres Professors; er führt auch denselben Familiennamen ...«[105]

»Es ist sein Sohn, nicht sein Neffe,« verbesserte Warwara Petrowna.

Praskowja Iwanowna hatte auch früher Stepan Trofimowitschs Familiennamen niemals behalten können und ihn immer den »Professor« genannt.

»Nun, meinetwegen sein Sohn, um so besser; mir ganz gleich. Es ist ein gewöhnlicher junger Mensch, sehr lebhaft und ungeniert; aber etwas Besonderes ist nicht an ihm. Nun, da hat nun Lisa selbst sich nicht richtig benommen; sie zog den jungen Mann an sich heran, um Nikolai Wsewolodowitschs Eifersucht zu erregen. Ich will darüber nicht zu streng urteilen; die jungen Mädchen machen es nun einmal so; es ist etwas ganz Gewöhnliches und nimmt sich sogar recht nett aus. Aber statt eifersüchtig zu werden, befreundete sich vielmehr Nikolai Wsewolodowitsch selbst mit dem jungen Menschen, als ob er nichts sähe und ihm alles gleich wäre. Darüber war nun Lisa empört. Der junge Mensch reiste bald ab (er mußte sehr eilig irgendwohin); Lisa aber suchte nun bei jeder Gelegenheit mit Nikolai Wsewolodowitsch Händel. Als sie bemerkte, daß dieser mit Dascha einige Male sprach, da geriet sie in Wut; ich konnte es schon gar nicht mehr aushalten, liebe Freundin. Die Ärzte hatten mir jede Aufregung verboten, und ihr gepriesener See war mir schon ganz zuwider geworden; nur die Zähne taten mir von ihm weh, einen solchen Rheumatismus hatte ich bekommen. Man kann es auch gedruckt lesen, daß man vom Genfer See Zahnschmerzen bekommt; das ist nun einmal so eine Besonderheit von ihm. Aber da erhielt Nikolai Wsewolodowitsch auf einmal einen Brief von der Gräfin und reiste sofort von uns ab; an einem einzigen Tage[106] machte er sich reisefertig. Abschied nahmen die beiden voneinander in freundschaftlicher Weise, und Lisa war, als sie ihn zur Bahn begleitete, sehr heiter und vergnügt und lachte viel. Aber das war alles nur Maske. Sowie er weg war, wurde sie sehr nachdenklich, sprach gar nicht mehr von ihm und wollte auch nicht, daß ich ihn erwähnte. Und auch Ihnen, liebe Warwara Petrowna, möchte ich raten, jetzt im Gespräch mit Lisa nicht von diesem Gegenstande anzufangen; Sie würden die Sache dadurch nur verderben. Wenn Sie dagegen schweigen, so wird sie zuerst mit Ihnen davon zu reden beginnen; dann werden Sie mehr zu hören bekommen. Meiner Ansicht nach werden die beiden jungen Leute sich wieder zusammenfinden, wenn nur Nikolai Wsewolodowitsch bald herkommt, wie er versprochen hat.«

»Ich werde sofort an ihn schreiben. Wenn alles sich so verhält, dann ist es mit dem Zerwürfnis nicht weit her. Es ist alles Unsinn. Auch Darja kenne ich hinreichend; Unsinn!«

»An der lieben Dascha habe ich mich mit meinem Verdachte versündigt und bereue es. Es waren nur Gespräche ganz gewöhnlicher Art, und sie wurden laut geführt. Aber das alles hat mich damals gar zu sehr aufgeregt, liebe Freundin. Und auch Lisa selbst ist, wie ich gesehen habe, mit ihr wieder zu dem früheren freundschaftlichen Verhältnisse zurückgekehrt ...«

Warwara Petrowna schrieb noch gleich an demselben Tage an Nikolai und bat ihn dringend, wenigstens einen Monat vor dem von ihm in Aussicht genommenen Termine zu kommen. Aber doch blieb ihr hier manches unklar und unverständlich. Sie dachte den ganzen Abend[107] und die ganze Nacht darüber nach. Praskowjas Meinung schien ihr gar zu harmlos und gefühlvoll.

»Praskowja ist ihr Lebelang zu gefühlvoll gewesen, schon von der Pensionszeit an,« dachte sie. »Nikolai ist nicht der Mann danach, vor den Spöttereien eines Mädchens davonzulaufen. Da steckt ein anderer Grund dahinter, wenn wirklich ein Zerwürfnis stattgefunden hat. Dieser Offizier ist aber doch hier; den haben sie mitgebracht, und er wohnt bei ihnen im Hause wie ein Verwandter. Und auch was Darja angeht, hat Praskowja gar zu schnell sich selbst beschuldigt; gewiß hat sie etwas für sich behalten, was sie nicht sagen wollte ...«

Am Morgen war in Warwara Petrownas Kopfe der Plan zur Reife gelangt, wenigstens einen Zweifel mit einemmal zu erledigen, ein merkwürdiger, überraschender Plan. Was in ihrem Herzen vorging, als sie diesen Plan entwarf, das ist schwer zu sagen, und ich unternehme es nicht, im voraus all die Widersprüche zu erklären, die er enthielt. Als Chronist beschränke ich mich darauf, die Ereignisse in ihrer richtigen Gestalt darzustellen, genau so, wie sie sich zugetragen haben, und ich kann nichts dafür, wenn sie den Eindruck der Unwahrscheinlichkeit machen. Aber ich muß doch noch einmal bezeugen, daß am Morgen bei Warwara Petrowna kein Verdacht gegen Dascha mehr zurückgeblieben war, und daß sie einen solchen strenggenommen nie gehegt hatte; dazu war sie ihrer zu sicher. Auch konnte sie es gar nicht für möglich halten, daß ihr Nikolai sich in ihre Dascha verliebt haben sollte. Am Morgen, als Darja Pawlowna am Teetisch den Tee eingoß, blickte Warwara Petrowna sie lange prüfend an und sagte vielleicht zum zwanzigsten Male[108] seit dem gestrigen Tage im stillen aus voller Überzeugung:

»Es ist alles Unsinn!«

Es fiel ihr nur auf, daß Dascha ein so müdes Aussehen hatte und noch stiller und apathischer als früher war. Nach dem Tee setzten sie sich gemäß der ein für allemal eingeführten Ordnung beide an eine Handarbeit. Warwara Petrowna forderte sie auf, ihr einen vollständigen Bericht über die Eindrücke zu erstatten, die sie im Auslande empfangen hatte, namentlich über die Natur, die Bewohner, die Städte, die Gebräuche, die Kunstwerke, die Industrie, über alles, was sie wahrgenommen habe. Aber über Drosdows und das Leben bei diesen stellte sie auch nicht eine Frage. Dascha, die neben ihr am Nähtische saß und ihr beim Sticken half, hatte schon eine halbe Stunde lang mit ihrer gleichmäßigen, eintönigen, aber etwas schwachen Stimme erzählt.

»Darja,« unterbrach Warwara Petrowna sie plötzlich, »hast du nichts Besonderes, was du mir mitteilen möchtest?«

»Nein, ich habe nichts,« antwortete Dascha nach ganz kurzem Nachdenken und blickte Warwara Petrowna mit ihren hellen Augen an.

»Hast du nichts auf dem Herzen, auf dem Gewissen?«

»Nein,« wiederholte Dascha leise, aber mit einer Art von mürrischer Festigkeit.

»Das habe ich gewußt! Und ich will dir sagen, Darja, daß ich niemals an dir zweifeln werde. Jetzt setze dich hin und höre einmal zu! Setz dich dort auf den andern Stuhl, mir gegenüber; ich möchte dir voll ins Gesicht sehen. So ist es gut! Also höre: möchtest du dich verheiraten?«[109]

Dascha antwortete mit einem langen, fragenden, übrigens nicht allzu verwunderten Blicke.

»Warte! Sei still! Erstens ist ein Unterschied in den Jahren, ein sehr bedeutender; aber du weißt ja am besten, daß das dummes Zeug ist. Du bist ein vernünftig denkendes Mädchen, und daher werden in deinem Leben keine Fehler vorkommen. Übrigens ist er noch ein hübscher Mann ... Kurz, ich meine Stepan Trofimowitsch, den du immer sehr geschätzt hast. Nun?«

Der fragende Ausdruck in Daschas Gesichte steigerte sich noch; sie blickte ihre Gönnerin jetzt nicht nur verwundert an, sondern errötete auch merklich.

»Halt, schweig! Keine Überstürzung! Du wirst zwar nach meinem Testamente eine Summe Geldes erhalten; aber wenn ich sterbe, was wird dann aus dir werden, auch mit dem Gelde? Man wird dich betrügen und dir das Geld abnehmen, und dann bist du verloren. Aber wenn du ihn heiratest, bist du die Frau eines angesehenen Mannes. Nun betrachte die Sache von der anderen Seite: wenn ich jetzt sterbe, was wird dann aus ihm werden, auch wenn ich ihn in meinem Testamente bedenke? Da setze ich nun meine Hoffnung auf dich. Warte, ich bin noch nicht zu Ende. Er ist leichtsinnig, schlaff, ohne Mitgefühl, selbstisch, hat unwürdige Gewohnheiten; aber habe du dennoch Achtung vor ihm, schon deswegen, weil es noch weit schlechtere gibt. Ich will dich doch nicht irgendeinem Lumpen zur Frau geben, um dich loszuwerden; das hast du doch nicht gedacht? Aber die Hauptsache ist: weil ich dich darum bitte, deshalb mußt du ihn schätzen und achten,« brach sie auf einmal gereizt ab. »Hörst du wohl? Warum sperrst du dich?«[110]

Dascha hörte noch immer schweigend zu.

»Halt, warte noch! Er ist ein altes Weib; aber um so besser für dich. Sogar ein klägliches altes Weib; er verdient es durch seine Persönlichkeit gar nicht, daß ihn eine Frau liebt. Aber er verdient es wegen seiner Schutzbedürftigkeit; liebe du ihn um derentwillen! Du verstehst mich doch? Verstehst du mich?«

Dascha nickte bejahend mit dem Kopfe.

»Nun, das wußte ich; ich habe nichts anderes von dir erwartet. Er wird dich lieben, weil er muß, weil er muß; er muß dich vergöttern!« kreischte Warwara Petrowna in besonders gereiztem Tone. »Übrigens wird er, auch ohne es zu müssen, sich in dich verlieben; ich kenne ihn ja. Außerdem werde ich selbst nach dem Rechten sehen. Sei unbesorgt; ich werde immer nach dem Rechten sehen. Er wird sich über dich beklagen, wird dich verleumden, wird dem ersten besten etwas über dich ins Ohr flüstern, wird wimmern, ewig wimmern; er wird dir von einem Zimmer nach dem andern Briefe schreiben, zwei Stück an einem Tage, und wird doch ohne dich nicht leben können, und das ist die Hauptsache. Zwinge ihn, dir zu gehorchen; wenn du ihn dazu nicht zu zwingen verstehst, bist du dumm. Wenn er sich aufhängen will und dir damit droht, so glaube ihm nicht; das ist nur dummes Zeug! Glaube es nicht; aber paß dennoch gut auf; am Ende tut er es doch einmal; das kommt bei solchen Menschen vor; nicht aus Stärke, sondern aus Schwäche hängen sie sich auf; und darum treibe ihn nie bis zum Äußersten; das ist die erste Regel in der Ehe. Vergiß auch nicht, daß er ein Dichter ist. Höre, Darja: es gibt kein höheres Glück als sich selbst aufzuopfern. Und außerdem tust du mir damit einen[111] großen Gefallen, und das ist die Hauptsache. Denke nicht, daß ich aus Dummheit soeben törichtes Zeug geredet habe: ich weiß sehr wohl, was ich sage. Ich bin egoistisch; sei du es auch! Ich zwinge dich ja nicht gegen deinen Willen; du hast völlig freie Hand; wie du sagst, so wird es geschehen. Nun, warum sitzt du so da? Sprich ein Wort!«

»Mir ist alles gleich, Warwara Petrowna, wenn ich mich denn einmal durchaus verheiraten soll,« sagte Dascha in festem Tone.

»Durchaus? Was willst du damit andeuten?« fragte Warwara Petrowna und blickte sie streng und unverwandt an.

Dascha schwieg und kratzte mit der Nadel an ihren Fingern herum.

»Du bist ja sonst ein verständiges Mädchen, hast aber doch eben Unsinn geredet. Es ist zwar richtig, daß ich jetzt ernstlich daran gedacht habe, dich zu verheiraten, aber nicht weil es unbedingt nötig wäre, sondern nur weil ich mir das so ausgesonnen hatte, und nur mit Rücksicht auf Stepan Trofimowitsch. Wäre Stepan Trofimowitsch nicht da, so würde ich gar nicht daran denken, dich sogleich zu verheiraten, obgleich du schon zwanzig Jahre alt bist ... Nun?«

»Ich werde ganz nach Ihren Wünschen handeln, Warwara Petrowna.«

»Also du bist einverstanden! Halt, sei still, wohin hast du es denn so eilig? Ich bin noch nicht fertig mit dem, was ich sagen wollte. In meinem Testamente habe ich dir fünfzehntausend Rubel ausgesetzt. Ich werde sie dir jetzt gleich geben, nach der Trauung. Davon gib ihm achttausend, das heißt nicht ihm, sondern mir. Er hat Schulden[112] im Betrage von achttausend Rubeln; die will ich bezahlen; aber er muß wissen, daß es mit deinem Gelde geschieht. Die andern siebentausend behältst du in deinen Händen; davon gib ihm nie auch nur einen Rubel! Bezahle nie seine Schulden! Tust du es einmal, so kommst du nachher nicht wieder davon los. Übrigens werde ich immer nach dem Rechten sehen. Ihr werdet von mir jährlich zwölfhundert Rubel zu eurem Unterhalt bekommen, mit einer Extrazuwendung fünfzehnhundert, außer Wohnung und Beköstigung, die ihr gleichfalls von mir erhalten werdet, genau ebenso, wie er das alles jetzt genießt. Nur eigene Bedienung müßt ihr euch halten. Das Jahrgeld werde ich dir alles mit einemmal geben, und zwar dir in deine eigene Hand. Aber sei auch gut gegen ihn; gib ihm manchmal ein bißchen und erlaube, daß seine Freunde einmal in der Woche zu ihm kommen; wenn sie öfter kommen, so jage sie weg! Aber ich werde auch selbst nach dem Rechten sehen. Und wenn ich sterbe, so wird euer Jahrgeld bis zu seinem Tode weiterbezahlt werden; hörst du wohl: bis zu seinem Tode; denn es ist sein Jahrgeld und nicht das deinige. Und dir will ich außer den jetzigen siebentausend Rubeln, die du dir, wenn du nicht selbst dumm bist, unangebrochen erhalten wirst, noch weitere achttausend Rubel testamentarisch hinterlassen. Weiter wirst du von mir nichts bekommen; das mußt du wissen. Nun, bist du einverstanden, wie? Nun antworte aber auch endlich!«

»Ich habe ja schon geantwortet, Warwara Petrowna.«

»Vergiß nicht, daß du völlige Willensfreiheit hast; wie du willst, so wird es geschehen.«

»Gestatten Sie eine Frage, Warwara Petrowna: hat[113] denn Stepan Trofimowitsch schon mit Ihnen darüber gesprochen?«

»Nein, er hat noch nicht gesprochen und weiß auch noch nichts davon; aber ... er wird sogleich reden!«

Sie sprang augenblicklich auf und warf ihr schwarzes Umschlagetuch um. Dascha errötete wieder ein wenig und folgte ihr mit einem fragenden Blicke. Warwara Petrowna wandte sich plötzlich zu ihr um und sagte mit zornrotem Gesichte, indem sie wie ein Habicht auf sie losschoß:

»Du Närrin! Du undankbare Närrin! Was denkst du dir denn? Glaubst du etwa, daß ich dich auch nur im geringsten kompromittieren werde? Er selbst wird dich kniefällig bitten; er muß ganz vergehen vor Glückseligkeit; so wird das arrangiert werden! Du weißt ja doch, daß ich dir mit der Verheiratung nichts zuleide tun will! Oder meinst du, daß er dich um dieser achttausend Rubel willen nehmen wird und ich jetzt hinlaufe, um dich zu verkaufen? Du Närrin, du Närrin, ihr seid alle undankbare Narren! Gib mir meinen Regenschirm!«

Und sie lief zu Fuß das feuchte Ziegeltrottoir entlang und über die hölzernen Brückchen zu Stepan Trofimowitsch.

Quelle:
Dostojewski, Fjodor: Die Teufel. Leipzig [1920], Band 1, S. 103-114.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Droste-Hülshoff, Annette von

Gedichte (Die Ausgabe von 1844)

Gedichte (Die Ausgabe von 1844)

Nach einem schmalen Band, den die Droste 1838 mit mäßigem Erfolg herausgab, erscheint 1844 bei Cotta ihre zweite und weit bedeutendere Lyrikausgabe. Die Ausgabe enthält ihre Heidebilder mit dem berühmten »Knaben im Moor«, die Balladen, darunter »Die Vergeltung« und neben vielen anderen die Gedichte »Am Turme« und »Das Spiegelbild«. Von dem Honorar für diese Ausgabe erwarb die Autorin ein idyllisches Weinbergshaus in Meersburg am Bodensee, wo sie vier Jahre später verstarb.

220 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon