XXX.

Arzneykunst der Iroquesen.

[55] Die Arzneykunst der Iroquesen bestehet blos in der Kenntniß der einfachen Dinge; sie bedienen sich derselben fast in allen ihren Krankheiten solchergestalt, daß sie Umschläge damit machen, welche sie oft mit Wasser, in welchem das Kraut gesotten worden ist, erwärmen. Sie zertheilen auf solche Art die Geschwulsten, bringen die Geschwüre dadurch zur Zeitigung, und lindern damit die heftigsten Schmerzen. Gewisse Kräuter, deren Saft sie einnehmen, oder gewisse Steine, die dem Geschmack nach den Vitriol-Steinen sehr nahe kommen, aber weiß sind, dienen ihnen zu Purganzen und Vomitiven; an statt des Aderlassens bedienen sie sich des Schrepfens. Wenn sie an Flüßen leiden, so schrepfen sie den Ort, wo sich der Schmerzen hauptsächlich befindet, mit der Schärfe eines Flintensteins, setzen alsdenn den Schrepf-Kopf darüber, ziehen vermittelst desselben eine Menge verdorbenes Blutes aus, und genesen.
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Sie wissen nichts von keinem Präservativ, und da ihre ganze Wissenschaft, ausser den allgemeinen, aus Gerstenwasser und den Säften der Kräuter und Wurzeln gemachten Mitteln, nur in einigen sehr ungewissen Erfahrungen bestehet, so lassen sie den Kranken ganz ruhig sterben, der sich mit einer ganz ausnehmenden Gelassenheit und Ergebenheit dazu entschliesset. Man hat niemals gehöret, daß die Wilden, wenn sie aus der Welt gehen, sich über die kurze Dauer ihres Lebens beklaget hätten; freylich ist es auch nicht ohne, daß sie nicht viel bedaurenswerthe Dinge hinterlassen.


In der Kunst zu verbinden und Wunden zu heilen, haben die Wilden hauptsächlich einen grossen Vorzug. Ihre ausreinigenden Mittel erhalten die Wunden jederzeit frisch und rein; man muß aber auch gestehen, daß die Diät, zu der sie ihre Verwundeten anhalten, sehr vieles dazu beyträget; denn bey starken Verwundungen lassen sie ihnen nichts als indianisches in Wasser gekochtes Korn essen; und das Hirschen- und Ziegenfleisch ist ihnen ausdrücklich verbotten.


So wohl der Arzt als der Kranke haben beederseits eine unermüdliche Gedult. Ein Iroquese, der sich mit der Hacke einen Hieb in das Schienbein versetzet hatte, blieb drey ganze Jahr lang auf seiner Matte liegen, ließ sich alle Tage mit Wurzeln[56] von Hagedorn und Tannenholz, die nach Art einer Salben zerstossen und zerquetschet waren, verbinden; und nachdem er auf solche Art eine Menge Splitter herausgebracht hatte, so wurde er nach Verlauf dieser Zeit wieder vollkommen hergestellet. Ein Wundarzt von der Besatzung wollte ihm unterschiedlichemal das Bein abnehmen, weil er sahe, daß der kalte Brand daran zu befürchten war; aber der Iroquese gab solches auf keine Art zu, und hatte endlich noch das Glück sich sein Bein zu erhalten.


Die Iroquesen sind so gute Wundärzte, so schlechte Aerzte sie sind: übrigens haben alle von ihrer Nation einerley Kenntniß der einfachen Dinge und heilsamen Wurzeln. Sie haben aber auch eine Art der Arzneykunst, die man die Jonglerie nennet: ich will hier kürzlich melden, was man darunter verstehet.


Die Wilden haben eine gewisse Art von Doctoren in der Arzneykunst unter sich, die sie Jongleurs nennen, diese verordnen den Kranken, an statt ihnen Arzneymittel vorzuschreiben, ein Gastmahl von zehen, funfzehen, oder zwanzig Personen anzustellen; dieses Gastmahl wird sogleich gehalten; der Kranke rühret von allem nichts an; die Gäste werden mit Brandwein bewirthet, und setzen sich durch dieses Getränk in einen noch schlimmern[57] Zustand als des Kranken seiner ist. Die jungen Leute gehen auf die Jagd, und der Jongleur gehet in die Hütte. Man läst ihn darinnen mit dem Kranken allein, dem er sich auf den Leib leget, und mit seinen Lippen einige Zeit lang stark an dem Ort sauget, welcher seinem Vorgeben nach verzaubert ist, worauf er zu der Thüre gehet, und indem er Victorie ruffet, daselbst einen kleinen Büschel Haare, welchen er vorhero die Vorsichtigkeit gehabt hatte, in den Mund zu nehmen, ausspeyet. Diese Betrüger haben unterschiedliche Arten diesen armen Schlachtopfern etwas aufzuheften: Die Anzahl der Jongleurs ist sehr stark, und es läst sich nicht begreifen, daß man sich ihren groben Betrügereyen noch nicht widersetzet hat.

Quelle:
[Dumonchaux, Pierre-Joseph-Antoine] : Medicinische Anecdoten. 1. Theil, Frankfurt und Leipzig 1767 [Nachdruck München o. J.], S. 55-58.
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