XXII. Brief

An Amalie

[42] Liebe Freundin! – Daß doch fast alle deine Blutsverwandte, ein einiger ausgenommen, so roh dich behandeln! – Was mag wohl für Blut in diesen Geschöpfen rinnen, wenn sie die Stimme dieses Bluts so wenig hören wollen? – Sey froh, daß Du entfernt von der eifersüchtigen Base bist, sie ist deiner zu ihrer Beruhigung los und Du ihrer. Der kalte Empfang deiner Tante ist Hochmuth, und dieser ist fast überall die Folge der Dummheit. Sezze Dich darüber hinweg, dies ist die beßte Rache des Vernünftigen. – Deiner bedaurungswürdigen Großmutter bin ich herzlich gut, und ich wünsche ihr hinlängliche Seelenstärke, die Bosheiten ihrer Schwiegertochter mit Geduld zu ertragen. – Hat denn ihr undankbarer Sohn keine Augen, keine Ohren? oder trägt er diese blos für sein boshaftes Weib? – So einem Halbmann gehört die Ruthe, der sich von seinem Weibe bis zur Hartherzigkeit einschläfern läßt. Was ist das für eine Schande, wenn der Mann ein kriechender Hausknecht seines Weibes ist! – So einer feigen Memme könnt ich mehr gram seyn, als einem in seinen Schranken stürmischen Manne, der sein Hausrecht nicht so leicht vergiebt. Doch genug hievon! Du bist jezt vermuthlich schon bei dem jungen Eheweibchen? – Ich bin sehr neugierig auf Nachrichten von ihrer neuen Verbindung.[42] Der Ehestand wird ihren Leichtsinn schon dämpfen, er ist ein tüchtiges Mittel wider die gute Laune, besonders wenn er nach der alltäglichen Mode gestiftet wird. Zum Ehestand gehört eine große, standhafte Vernunft, um eines Andern Gebrechen und Thorheiten mit Güte zu beßern oder geduldig zu ertragen. Und dann die ewige Gewohnheit, die jedem Dinge den beßten Geschmak raubt, bringt oft im Ehestand Wirkungen hervor, die gräßlich sind, wenn nicht durch beiderseitige Nachsicht und Güte des Herzens alle übeln Folgen verhütet werden. Der Ehestand ist bei den Meisten ein Kaos voll rosenfarbenen Elendes. Du hast Recht, Mädchen, diesen Schritt für gefährlich, für entscheidend zu halten; er reizt, lokt, beglükket und vergiftet eben so geschwind das Leben, je nachdem man's trift; und – leider sind so wenig Treffer in diesem Glükstopfe! – Ich möchte Dir zwar nicht gerne einen übeln Vorschmak von einem Stande beibringen, der auch Deiner wartet. Aber kann ich wohl von einer Sache schweigen, die in unserm Leben eine so unglükselige Epoche ausmacht? – Neigung, Vernunft, Güte des Herzens sollten diese Bande knüpfen, und nicht Eigennuz, Uebereilung, Sinnlichkeit, Konvenzionen, oder Eitelkeit. Die wenigsten Ehen haben wahre Harmonie der Herzen zum Grund, und die jungen Eheleute finden sich eben darum nach dem abgekühlten Taumel getäuscht. Grobe Herrschsucht, Gebieterei des Mannes wekt die Eitelkeit, den Starrsinn des Weibes auf; Zank, Widerspruch, Brausen gegen einander sind die richtigen Merkmale zweier misverstandener Gemüther. Ekkel und beiderseitige Verbitterung, ist die Glokke, welche der Liebe zu Grabe läutet, und das Ende davon, ein schändliches beiderseitiges Lasterleben, unter dem Dekmantel der heiligsten Verbindung. Laß uns abbrechen, Freundin, von so schröklichen Auftritten der Menschheit! – Ein Mädchen, wie Du, darf vorsichtig wählen, aber deswegen sich nicht abschrökken lassen.[43] – Schreibe mir bald wieder und erinnere Dich deiner beßten


Fanny.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 42-44.
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