XXV. Brief

An Fanny

[48] Herzliebe Freundin! – Du bist ja eine leibhafte Misanthropin geworden – Freudenstörerin will ich eben nicht sagen, denn dazu ließ es dein gutes Herzchen nicht kommen.– Aber sag mir nur, warum bist Du denn so äußerst mistrauisch gegen die Männer? – Die armen Narren dünken mich doch so gut, oder wenigstens scheinen sie es zu seyn. Freilich könnte Leichtgläubigkeit bei mir ein Fehler werden, aber noch ist er es nicht. Ich kann mir doch nicht vorstellen, daß ich gerade das Unglük haben müße, auf einen Modegekken zu stoßen, der mich betrügen will? – Noch hab ich am Doktor keine Spur von Schleicherei bemerkt. Laß mir doch diese liebe Träumerei; ist doch alles Traum, was man Gutes hat auf der Welt! – Wenn ich in der Liebe kein Vergnügen suchen dürfte, wo sollt' ich es denn finden? – Menschen, die nicht lieben, haben Sand im Herzen und Wasser im Gehirne. Die Lebhaftigkeit meiner Einbildungskraft fodert durchaus Liebe, und alle deine Kernworte werden diese glühende Einbildungskraft vielleicht leiten, aber nicht abkühlen. Der liebe Wohlstand mag es mir nicht übeldeuten, wenn ich ungeheuchelt einem Triebe folge, den ich mir nicht in die Seele gelegt habe. – Alle Einwendungen, die ich mir darüber mache, sind ein schwacher Damm, die den Strom zwar aufhalten, aber desto heftiger anschwellen. Es wohnt in mir[48] nur ein großer, feuriger Gedanke, und wenn ich ihn verdrängen will, so theilt er sich in tausend kleinere, aber husch ist der große Gedanke wieder in meinem Kopfe da und herrscht in meiner Seele. Kurz, Freundin, meine Einbildungskraft muß ziemlich brennen, denn weil ich mir unter Tags Zwang anthun muß, so rebellirt sie desto heftiger bei der Nacht. – Als ich lezthin, Schäkkerei halber, bei meiner Freundin im nemlichen Bette schlief, (ihr Mann war abwesend) begieng ich einen Streich, der mich des andern Morgens schamroth machte. Denk dir einmal: Im Schlaf umfaßte ich meine Freundin, küßte, herzte sie und seufzte laut den Namen des Doktors dazu. Die boshafte Beischläferin störte mich gar nicht in meiner Freude, und als ich aufwachte, schämte ich mich fast zu Tode, denn ich erinnerte mich nur zu gut meines begeisterten Traumes. Läugnen half jezt nichts und der unschikliche Ort, wo ich meine Gefühle ausdrükte, war für mich eine ärgerliche Erinnerung. Was mich aber vor Zorne weinen machte, war der Leichtsinn, mit dem meine Freundin diesen Vorfall dem Doktor erzählte. – Nun ist der junge Herr von meiner Schwachheit ganz überzeugt. – Wirklich Schwachheit, denn meine Neigung ist um viele Grade heftiger, als die seinige. Bin ich nicht eine Thörin, daß ich meinem Gefühl so den Zügel lasse? – Vielleicht wieder für einen Undankbaren lasse? – Nun ja wieder! Liebte ich nicht schon einmal, und das umsonst, ohne Gegenliebe? – Hilf mir der liebe Gott! Was wird aus meinem weichen Herzchen werden, wenn es nicht bald seinen Wiederhall findet? – Und ist denn ein solcher Wiederhall so leicht zu finden? Gegenliebe scheint mir ein so seltenes Ungefähr, daß es einem schaudern sollte, welche zu suchen. Haben denn die Männer in der Liebe wirklich so selten eine ernsthafte Seite? – Was gäbe ich nicht, Freundin, wenn ich ganz mistrauisch seyn könnte! – Wie soll ich es denn anfangen, um es zu werden? –[49] Mein ganzes Wesen ist offen, und immer dachte ich mir andere Menschen auch so. Und besonders Dich, Freundin, kann ich zu meinem Trost nicht anders, als äußerst redlich und äußerst liebevoll denken. –


Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 48-50.
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