LX. Brief

An Fanny

[152] Meine Beßte! Es seye nun in der Welt wie es wolle, wir Menschen hängen unstreitig von gewißen Augenblikken ab: Gestern trat er zu mir ins Zimmer, der liebe Junge! – Du mußt aber auch wissen, daß ich außer der Klausur wohne, und folglich unter der Aufsicht meiner Aufseherin den Besuch meines Bräutigams annehmen darf. Also gestern sah ich ihn in seinem völligen Glanze. Er war gepuzt wie ein Engel, und die Uniform steht ihm göttlich! – Wie sie da stund vor mir die symmetrisch gepuzte Puppe, meinem Auge so reizend, und meiner Eitelkeit so lokkend. Der stille Gram der Liebe hat sein Gesicht gebleicht: und dieses schmachtende Aussehen stimmt ganz mit seinen langen blonden Haaren überein. – Meine Sinnen hiengen heute zum erstenmal an der äußern Seite eines Jünglings, und irrten verschwiegen und wollüstig auf seinen Reizen umher. Man mag mir sagen was man will, ein artiger Junge in der Uniform ist für das Auge eines Mädchens gefährlich, besonders wenn kein zügelloser Wildfang[152] darinnen stekt, der zu wenig der Delikatesse der Mädchen schont. – Es ist nichts reizender, als ein milder, denkender, empfindsamer, gutgezogener, bescheidener junger Offizier. – Ueberrascht von einem so seltenen Funde, muß jedes freie Mädchenherz schmelzen, wenn es anders die rohe Wildheit, die ungezogene Brutalität, die Verläumdungssucht der meisten übrigen Offiziers kennt. – Ich fodere nicht, daß ein Krieger Weib seyn soll. – Aber an der Seite seines Mädchens, in den Armen der Liebe gewinnt seine Lebhaftigkeit unendlich, wenn weiches Gefühl der Dankbarkeit, wenn sanfter Affekt seine fühlende Seele adelt! – Stürmerei im Umgang, Unverschämtheit der Sitten, ist doch immer die Sache des gemeinen Mannes, und läßt in der Uniform gar nicht. – Ich habe schon mehrere Offiziere von diesem Schlag in Gesellschaft gefunden, und es schien, als ob ihnen die Uniform ein Recht zur Ausgelaßenheit gäbe. Sie erhoben öfters ihren gebietenden Hochmuth über die Tugend eines armen Mädchens, gerade als stünde diese Tugend unter der Subordinazion ihrer Begierden. Doch mein zukünftiges Männchen ist artiger, wenigstens hat er sich bis daher sehr liebevoll betragen. Du sprichst mir zwar in deinem Brief von Begierde nach Genuß. O du lieber Gott! – Wer kann die Absichten eines Liebhabers so genau bestimmen? – Er zeigt sich immer auf der beßten Seite, und weis unsere Leichtgläubigkeit so täuschend zu beruhigen. Ich versichere Dich, meine Beßte, je mehr man den Liebhaber studirt, je weniger kennt man ihn. Ich schmeichle mir doch auch ein Bischen Gehirne zu haben, und doch bin ich mit meiner unendlichen Bemühung ihn zu untersuchen nicht weiter gekommen, als bis dahin, wo er mich vielleicht mit voller Ueberlegung wollte kommen lassen. – Denn der Mann hat Kopf. – Was ist nun zu thun? – Wie übel ist derjenige daran, der zwischen Liebe und Furcht zu wählen hat.? – Die erstere ist bisweilen so übereilt, so geschwind entschlossen,[153] daß keine späte Reue den Schritt mehr zurük thun kann, den sie vielleicht unbesonnen, blos aus Uereilung wagte. – Mit banger Aengstlichkeit werde ich mich vielleicht einer Verbindung nahen, die mich zum glüklichen Weibe, oder zum elendesten Wurm machen kann. – So eben erhalte ich durch einen expreßen Boten einen Brief von meiner Schwester. Ich will ihn lesen, und wenn er Wichtigkeiten enthält, so werde ich ihn Wort für Wort hier einrükken. – – – –

Ja wohl enthält er Wichtigkeiten dieser Brief! – Die schröklichsten, die wir Beide uns je denken könnten! – Lies – und schenke ihr eine Thräne, der Verfolgten! .....

»Liebe, gute Schwester! – – Schreibe mein langes Stillschweigen auf die Rechnung meiner Gefangenschaft, in der ich seit deinem leztern Briefe halb verzweifelt schmachte! – Du hieltst diese Pause meines Schiksals vermuthlich für eine gute Wendung; aber Du irrst Dich, denn mein Elend ist aufs Höchste gestiegen! – Meine Prüfungszeit geht in wenig Tagen zu Ende, und dann will man mich hinschleppen zu jenen fürchterlichen Gebräuchen der Einkleidung! – Sie haben mir meine Einwilligung abgezwungen, die grausamen Mörder meines Seelenheils! – Ich werde mich in die finstere Todtengruft unter die rasselnden Knochen, meiner verweseten Vorfahrerinnen verbergen, wenn Du, einzig geliebte Schwester, mich nicht rettest! – Meine Gesundheit ist ohnehin angegriffen; aber doch möchte ich die wenigen Tage meines Lebens nicht unter dem Drukke einer schändlichen Lüge verseufzen! – O meine verstorbene Eltern! – Hört, hört eure nach Hülfe schreiende Tochter! – Steigt hervor aus dem Grabe ihr schleichenden Schatten meiner Erlösung! – Reißt es weg, das Leichentuch, wenn man es mir nahe am Altar der milden Gottheit über meinen Kopf wirft! – Ich will den Kranz meiner Unschuld, den Brautschmuk[154] meines Hochzeittages in Stükken zerfezzen, denn mein Schwur ist gezwungen, und folglich ungültig! – Ich bin eine Waise; Alles ist taub für mein Geschrei! – Man wußte meine Zunge durch Furcht und Zagheit zu binden. Die Gutherzigkeit einer verliebten Nonne half mir zu dieser Gelegenheit an Dich zu schreiben. Zögerst Du nur noch auf wenige Tage, so ist auf ewig für Dich verloren deine jammernde Schwester Louise von B***.«

Verloren auf ewig für mich! – Fühle diesen Schlag, der mein Herz zerreißt, wenn Du kannst, und laß mich!!! – –

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 152-155.
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