LXII. Brief

An Amalie

[157] Mädchen, Du läßt mich Dinge erleben, die mein Herz angreifen! – So wirst du denn immer und ewig fortbrausen im Wirbel deiner hizzigen Leidenschaften? – Ich möchte die Klosterweiber bei den Köpfen kriegen, daß sie Dir die[157] Ausführung einer Handlung versagten, die deinem guten Herzen Pflicht war! – Warum hast Du ihn aber auch gewählt, diesen Aufenthalt der eigensinnigen Bosheit? – Ich wußte es schon vorher recht gut, daß dein Temperament durchaus keinen Widerspruch dulden würde – und besonders da nicht, wo Natur, Theilnahme und Rechtschaffenheit Dich zur Rettung auffoderten. Ewiges Weh über die Nichtswürdigen, wenn dein übereilter Schritt übel ausschlägt! – Gutes unbegreifliches Geschöpf! – Aus Gutherzigkeit opferst Du Dich selbsten auf, um deine Schwester zu retten. Aus Gutherzigkeit wagst Du Ehre, guten Namen und vielleicht die ganze Ruhe deines Lebens! – Wer kann so ein Herz begreifen? – Wer kann es bezahlen? – Wer kann ihm an Güte gleichkommen? – Es ist wahr, der Brief deiner Schwester dringt bis ins Innerste! – Aber Freundin! – Freundin! – Wie kühn und männlich wagtest Du es, aus einem Kloster zu entspringen, da unbeschreibliche Schande dein Loos gewesen wäre, wenn man Dich eingeholt hätte! – Du bist rasch in deinen Unternehmungen, Du bist standhaft in deinen Entschlüßen, Du bist fürchterlich in deinem Zorne, wenn man ihn reizt! – Darf ich es sagen, ohne Dich zu beleidigen? Du besizzest große Tugenden, hast aber auch zugleich Anlage zu großen Ausschweifungen. Blos dein Herz bürgt mir dafür, daß die lezteren nie zum Ausbruch kommen werden, wenn es so geführt wird, wie ich es wünsche. Also jezt, liebes Malchen, bist Du in den Armen deines Gatten, ruhst unter dem Schuzze Dessen, der dir Alles seyn muß? – Amalie! – Darf ich Dich wohl mit wenigen Worten um Nachsicht, um Sanftmuth, um die strengste Erfüllung deiner Pflichten gegen ihn bitten? – Erwarte in deinem Mann blos den Menschen mit allen seinen anklebenden Gebrechen, und Du wirst Dich dadurch weniger selbst täuschen, Du[158] wirst Geduld mit seinen Fehlern haben. Die Männer sind oft launigt, mürrisch und roh. Fasse Dich auf alles, liebes Kind, dann wirst Du jeder seiner Leidenschaften mit Vernunft begegnen. – Wenn dein Mann seine Pflichten erfüllt, so bist Du ihm die der deinigen doppelt schuldig – als Gattin und als dankbare Freundin. – Und wirst Du endlich einst Mutter, o dann theile mir deine Freude mit, laß mich sie mitempfinden diese reizende Hofnung deines verjüngten Ebenbildes. – Gerne würde ich mich heute länger mit Dir unterhalten, aber die Krankheit meiner Mutter hält mich davon ab. – Lebe ruhig – glüklich – und mir hold. – Das wünscht deine ewig zärtliche Freundin


Fanny.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 157-159.
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