LXVIII. Brief

An Fanny

[173] Gegenwärtiger Brief wird meinen leztern an Gram übertreffen, denn er hat seither in meinem Herzen Wurzeln gefaßt, dieser Gram, ist gewachsen und reif geworden! – Alles stürmte auf mich los! – Und ich wagte in der Verzweiflung einen Schritt, den nur eine Wahnsinnige wagen kann. – Lebhafte Temperamente sind die Mörder der Ueberlegung; man rast der ersten beßten Aussicht entgegen, die man sich im Anlauf der Galle so willkommen sieht! – Hizzige, gallsüchtige Köpfe, denen es an guten Herzen fehlt, nehmen meistens ihre Rache an dem Beleidiger; aber ich nahm sie an mir selbst, an meinem Kinde, an meiner Gesundheit, an meiner Ehre, an meiner Familie! – Es ist freilich wahr, ich wurde mit mörderischer Hand mishandelt! – Mein Kind ist durch Grausamkeit vertilgt worden aus dem Schoos ihrer Mutter! – Sie ist dahin die Frucht meiner süßesten Hofnungen! – Ein wütender Augenblik meines Mannes hat mich bis zu dem Rande des Todes geschleppt, dem ich mit entzükkender Erwartung entgegen sah! – Ich will Dir diesen Auftritt seiner abscheulichen Leidenschaften schildern, um Dir, wenn es möglich ist, nur einen Schatten meines Elendes zu zeigen! – Mein Mann blieb einstens, wie gewöhnlich, bis spät in die Nacht hinein in seiner Spielgesellschaft. – Was ich während diesen langen sechs Stunden, die ich schlaflos auf ihn vergebens harrte, ausstund, das läßt sich nicht beschreiben! – Angst, Furcht, Schrekken, gräßliche Bilder der Zukunft, der hofnungslose Gedanke seiner Beßerung, die Kälte meines Oheims, den er durch Heuchelei zu gewinnen wußte, Sehnsucht nach einem andern beßern Herzen, die Herannahung[173] der drohenden Dürftigkeit machten meine Seele in einem Labyrinth des unbegreiflichsten Schmerzens verirren! – Ich konnte weder weinen, noch klagen, ich konnte weder schlafen, noch wachen, ich träumte fort bis es mein Gehirn angriff, und der trostlose Zustand meiner Lage mich beinahe ums Leben brachte! – Auf einmal hörte ich Lärm und Gepolter; ein kalter Schauer durchzitterte meine Nerven, mein Mann stürzte rasend, mit zerrissenen Haaren, ins Zimmer, ich bebte, er sprang auf mich zu, faßte mich an und fluchte schröklich! – Die Todesangst trieb mich aus dem Bette, ich suchte ihn zu entwaffnen, stürzte zu seinen Füßen, aber seine Raserei wurde immer heftiger, er wand meine langen Haare um seine Hand und schleppte mich barbarisch im Zimmer herum! Ich schrie nicht, ich klagte nicht, und das machte ihn noch boshafter, denn er hätte gern eine Furie in mir getroffen, um seiner Wut mehr Nahrung zu geben. Er tobte über meine Gelassenheit, und sehnte sich nach Anlaß, mir mit Recht so begegnen zu können. – Meine Standhaftigkeit, meine Seelengröße schien seine Wut zu verdoppeln! – Er schäumte nach einer Mordthat, und wußte nicht, ob er sich oder mich zuerst umbringen sollte! – Meine Natur und meine Leibesfrucht wurden über diesem Auftritt erschüttert! – Ich sank in Betäubung hin, und er ließ mich mehrere Stunden sinnlos ohne Hülfe liegen. – Keine Seele von unsern Bedienten durfte ins Zimmer, worinn ich mit ihm war. Endlich fiel ihm der Gedanke an sein Kind ein und erweichte ihn in etwas; er nahte sich mir und fragte um meinen Zustand? – Die erste Thräne zitterte jezt seit so vielen Stunden aus meinem Auge! – Ich verhelte ihm die Gefahr meiner Frucht und meines Lebens; fragte ihn sanft um sein Befinden und um die Ursache seiner Krankheit? – Er gestand mir, daß er diese Nacht beinahe das ganze Vermögen verspielt hätte, daß Verzweiflung sich seiner bemächtigt hätte, die ihn am Leben ekkelnmachte,[174] daß er mich in dem Augenblik gehaßt hätte, weil ihm mein Anblik eine tödtende Erinnerung seiner Ausschweifungen gewesen sey! – Er gestund es selbst, daß ihn ewig und ewig nichts von der Spielsucht retten könnte! – Er schien mich zu bedauern, und gieng doch wieder aufs Kaffeehaus, seiner Neigung entgegen. Während dieser Zeit verließen mich meine Kräften, ich verlor mein Kind, und niemand zweifelte an meinem nahen Tode. – Man hinterbrachte ihm diese Nachricht, er schien darüber zu stuzzen, aber kam demungeachtet mehrere Tage nicht nach Hause. Die Sorgfalt der Aufwärterin und meine Jugend beförderten bald wieder meine Gesundheit. Man rieth mir, meinen Mann zu verlaßen, um mein Leben zu schonen, das bei ihm in augenbliklicher Gefahr stünde. Ich hielt diesen Rath anfangs für abscheulich, bis ich endlich überlegte, daß die Pflichten gegen sich selbst immer die ersten sind, und verließ ihn heimlich, zwar ohne Plane, blos mit der kleinen Hofnung auf die Hülfe meines Oheims; und so harre ich schon seit mehreren Wochen auf das Gutdünken desselben. Wie's weiter mit mir gehen wird, weis ich nicht, aber so viel weis ich, daß ich die Elendeste unter den Sterblichen bin! –


Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 173-175.
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