LXXIII. Brief

An Fanny

[188] Zürne doch nicht, Herzensfreundin, daß ich Dir erst jezt Nachricht von mir und meinem Schiksal gebe. Gerade so, meine Traute, wie ich Dir lezthin schrieb, kam es mit dem Werbungsgeschäft zu Stande; ich und mein Mann sind dermalen schon bei meinem Oheim in K... Du würdest staunen, Liebe, wenn ich Dir die vielen Verdrüßlichkeiten hinlänglich beschreiben könnte, die mir aus übler Wirthschaft meines Mannes noch vor meiner Abreise über den Hals fielen. – Ich glaube, es kann keine verdrüßlichere Lage in der Welt seyn, als die, wenn man Schulden bezahlen soll, und es aus Unvermögen nicht kann. – Ich meines Theils, wüßte mich in diese Lage gar nicht zu finden. Mein Mann kümmerte sich gar nichts darum, lief aus dem Hause, und überließ mich armes schüchternes Ding leichtsinnig den Grobheiten des Pöbels. Du glaubst nicht, was ich da für eine einfältige Figur spielte, als man Anforderungen an mich machte, zu[188] stolz, um eine solche Erniedrigung nicht zu fühlen, und zu redlich, um unsere Gläubiger mit Lügen abzuweisen. – Endlich raffte ich mein Bischen Geschmeide zusammen, zahlte wie ich konnte, und wir reisten in Gottes Namen ab. Daß uns nun mein Oheim mit aller Wärme empfieng, das versteht sich von selbst, und davon bist Du auch zum Voraus überzeugt, weil Du sein Herz kennst. Daß aber mein guter Oheim beim ersten Anblik meines Mannes blind war, das wirst Du wohl nicht ganz begreifen können? Es war wirklich ein sonderbarer Auftritt! – Denn Du weißt, mein Mann trägt die untrüglichste Larve eines sehr soliden Mannes an sich. Der feinste Menschenkenner hat Mühe verborgene Leidenschaften auf seinem Gesichte zu entdekken. Er scheint gleichgültig gegen alle Versuchungen des Lasters und trägt das Ansehn eines tiefdenkenden Philosophen auf seiner Stirne. Als ihn nun mein Oheim mit dieser Maske zu sehen bekam, rief er mir bei Seite, und flüsterte mir ins Ohr: Malchen, Malchen! Du hast mir die Unwahrheit geschrieben; dein Mann sieht zu redlich aus, um das zu seyn, was du behauptest... Nur Geduld, lieber Oheim, sagt ich ihm wieder ganz leise zurük – es wird sich schon zeigen, wenn Sie ihn einst näher kennen. – Jezt wurde mein Mann auf unsere geheime Unterredung aufmerksam, und wir kehrten beide wieder zur Gesellschaft zurük, die sich eben versammelt hatte. – Dann fieng man zusammen an zu essen, zu trinken und sich wechselseitig über unsere Ankunft zu freuen. Ich saß sehr nahe an der Seite meines guten Oheims, griff nach seiner Hand, so oft es sich schikte, und küßte sie mit Entzükken! Mein Herz klopfte diesem herrlichen Manne bei jeder Bewegung entgegen, und ich ärgerte mich über die eiskalten Gespräche von Reisen und dergleichen, mit denen man sich während der Essenszeit unterhielt. Mein von Dankbarkeit volles Herz war unter dieser Zeit zum Weinen, zum Küßen gestimmt. – Ich hätte[189] gerne mit der feurigsten Liebe alles gethan, was nur ein fühlendes zärtliches Kind zu thun im Stande ist, wenn es nach einigen Jahren seinen Wohlthäter, seinen Erzieher, seinen Vater wieder findet. Allgütiger im Himmel, wie glüklich ich mich da dünkte! wie ich mich auf die Tage freute, die ich nun an der Seite dieses guten Vaters verleben würde! – O liebe, liebe Freundin, der Mann ist gar zu sanft, gar zu gut gegen mich, ich verdiene es beinahe nicht. Aber schröklich stark fühlte ich den Abstand zwischen der Behandlung meines Mannes und ihm. Was der liebe Vater sich meiner freute; wie er jedem Ausdruk von mir holden Beifall zulächelte; wie er heimlich stolz war auf mein Herz, dessen Bildung sein Werk ist; wie er mit Vergnügen sahe, daß ich seit einigen Jahren Abwesenheit so gewachsen seye, und wie er dann wieder sein Auge von wir wegwandte, um einer melankolischen Thräne Luft zu machen! Gott! dabei muß ihm das Unglük meines Ehestandes eingefallen seyn! – – Und denk Dir nur, meine Gute, alle diese Auftritte sah mein stoischer Mann mit einer fühllosen Kälte mit an. O du lieber Gott, was es doch für Menschen in der Welt giebt! – Nichts rührte den Empfindungslosen, als blos die vorzüglich gute und höfliche Behandlung, mit der ihm mein Oheim und die Uebrigen des Hofes begegneten. Sehr natürlich mußte so etwas seiner Eitelkeit schmeicheln, denn der Fürst selbst hatte, in Rüksicht meines Oheims, viele Gnaden für ihn. Den nemlichen Abend gieng mein Oheim um unserer Gesellschaft willen, nicht zur fürstlichen Tafel. – Wir speisten alle zusammen auf seinem Zimmer, und kaum waren wir einige Minuten zusammen, so versammelten sich mehrere Kavaliers, und freuten sich über unsere Ankunft. Baron Sch... war auch einer davon; wahrlich, ein sehr herrlicher junger Mann! Er ist der beßte Freund meines Oheims, und so ganz gefühlvoller Mensch, ohne Ahnenstolz, ohne Forderungsgeist; nebst einer großen[190] Seele trägt er ein vortrefliches Herz im Busen und den lebhaftesten Geist im Kopf, der ihn weit über alle Andern erhebt; es ist ein Mann ohne Vorurtheil, der blos der Freundschaft, der Redlichkeit und der Tugend lebt. Er ist sanft ohne Schüchternheit, gut ohne Schwachheit, lustig ohne Wildheit, erhaben ohne Hochmuth, wizzig ohne Ziererei; kurz das Muster eines sehr würdigen Kavaliers. Die übrigen, so zugegen waren, sind muntere Herrchens, denen man es ansieht, daß es ihnen nicht am Wohlleben fehlt. – Du kannst Dir nicht vor stellen, liebe Fanny, wie aufgewekt den nämlichen Abend mein Oheim noch geworden ist. Ich säumte gar nicht meinen ganzen Wiz aufzubieten, um alles so gut als möglich zu unterhalten. – Du kennst ja meine Lebhaftigkeit, wenn ich anfange munter zu werden? Schon oft wurde ich nachher über mich selbst ärgerlich, wenn meine Ueberlegung mir sagte, daß eben diese Lebhaftigkeit mir den Schein des Leichtsinns gäbe, der doch gar nicht in meinem Karakter liegt. – Aber ich bin nun einmal schon so, und kann nichts halb geniessen, sondern alles ganz, alles äußerst. Doch freut mich in Gesellschaften nichts mehr, als wenn ich Anlaß bekommen kann, die Männer recht tüchtig zu satirisiren. Oefter treffen mich dann dabei auch tüchtige Hiebe; und, Fanny, ich bin Dir dann Mäuschenstille dazu, wenn man mir wieder die Wahrheit zurüksagt. Ueberhaupt gefällt mir der fein-satirische Ton in Gesellschaften unendlich. Er muß zwar an keine Beleidigungen gränzen, aber er muß munter, vernünftig frei, nach Laune handeln dürfen. Es ist in Gesellschaften eine wahre Freude, wenn man die Stunden, so unter frohem Gelächter dahineilen sieht. O möchten sich doch die Frauenzimmer mehr aufs Gesellschaftliche verlegen! – Möchten doch die langweiligen, unnüzzen Geschöpfe lernen die Männer mit etwas Besserem, als mit ihrem blosen Körper zu unterhalten. Ausschweifung und Verachtung würde dann weniger[191] obwalten, wenn die Männer nicht an der Seite der Weiber zur erstern aus Langerweile, und zur leztern aus Ueberzeugung schreiten müßten. – Es ist eine ewige Schande, daß die Männer bei den Weibern, blos Genuß suchen können, und daß die Weiber nichts Besseres zu geben wissen. Daher kömmt die gewaltige Mishandlung der Männer, weil so wenig Weiber den guten Ton der Gesellschaft verstehen. Lebe wohl, beßte, liebste meiner Freundinnen! –


Deine Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 188-192.
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