LXXV. Brief

An Amalie

[195] Willkommen, liebe Freundin, mit deinen herzigen zween Briefen! – Armes bedaurungswürdiges Malchen, so quält Dich denn dein Mann noch immerfort! – Der Unbesonnene, konnte Dir vor eurer Abreise durch seine Schulden noch Plagen verursachen! – Weis denn der Fühllose nicht, daß, um Schuldner zur Geduld zu verweisen, eine gewiße Unverschämtheit oder Schamlosigkeit erfodert wird, die Du gewis nicht in deiner Gewalt hast? Fast immer ziehen mit Schulden beladene Menschen, denen es an Kühnheit mangelt, den Kürzern, und werden von eigennüzzigen Gläubigern aufs empfindlichste beleidigt. – Besonders, wenn sie es mit Pöbel, oder noch weit ärger, wenn sie es mit jüdischen Kaufleuten zu thun haben. – Nichts macht den Kaufmann hartherziger als Eigennuz. – Man wird sehr wenig wahre gutherzige Leute in dieser Menschenklasse finden. – Der hassenswürdige Eigennuz macht die meisten von ihnen grausam, unempfindlich und stolz. – Um dieses Lasters willen haben die wenigsten Kaufleute Gefühl für Großmuth und fürs gesellschaftliche Leben. An den Eigennuz gewöhnt, fühlen sie nicht den Mangel An derer; von dem Geize beherrscht, tirannisiren sie ihre Nebenmenschen; im Ueberfluß vergraben, kennen sie die Empfindungen der Armuth nicht; und so bleiben sie von der Gesellschaft zurükgezogen für sich, stolz auf ihr Geld, und unerträglich für den Vernünftigen. Kann man etwas Widrigeres sehen, als einen alten Geizhals von[195] Kaufmann, der steif wie Holz und mürrisch wie ein Menschenhasser, hinter seinem Geschäftpult neben seinem Geldkasten sizt? – Taub für das Elend der Dürftigen, lebt derselbe blos für seinen Eigennuz. Möchte sich doch dieser Stand mehr für Menschenfreundlichkeit bilden! Möchten die lieben Leutchen in ihren Reichsstädten aufhören ihre steife Etikette zu behaupten, welche sie zum Spott für Fremde und zur Ehre ihrer Geldkisten beibehalten. – Männer und Weiber aus diesem Stande verfallen fast immer auf zwo Extremitäten: Die erstern sind entweder kahle, pedantische, unerträgliche Murrköpfe; oder aufgeblasene französirende, junge Gekken. Und so geht es gerade mit den Weibern auch: Ein Theil opfert der Alfanzerei und dem Vorurtheil, und der andere dem Hochmuth und der Koketterie. Ich kenne keinen dümmern, hervorstechendern Stolz, als den Stolz einer Kaufmannsfrau. – Bald werden sie anfangen sich in Gesellschaften ihre Kapitalien vorzurechnen, um dadurch den ersten Plaz auf einem Sofa zu erringen. Wem dies etwa unglaublich scheint, dem mag folgende wahre Geschichte zum Beweise dienen:

Zwei hochmüthige, auf ihr elendes Geld stolze Kaufmannsweiber, befanden sich vor einigen Wochen in einem Schauspielhause, und nahmen den Plaz einer dreisizzigen Loge ein. Die Loge war nicht geschlossen, sondern fürs Geld dem ersten Beßten zu Befehl. Ein braves munteres Weibchen, die Gattin eines Tonkünstlers, gerieth aus Zufall in diese nemliche Loge, und wollte den dritten noch unbesezten Plaz einnehmen. Die Kaufmannsweiber, von sinnloser Eitelkeit hingerißen, weigerten sich dieser Frau Plaz zu machen; aber unser Weibchen, die als Künstlersfrau sich besser fühlte, als diese seichten, lieblosen Seelen, bestund auf dem begehrten noch freien Sizze, und lies sich für ihr Geld nicht abweisen; nach langem Zanken mußten die Kaufmannsweiber[196] dennoch rükken; – aber jezt gieng es unter ihnen an ein Ohrenflüstern, das gar kein Ende nahm. Unser liebes kleines Weibchen aber dachte indessen auf Wiedervergeltung für diese abgeschmakte Aufführung; und siehe da, auf einmal wußte sie die schönste Ohnmacht zu fingiren, die ihre Nachbarinnen nicht wenig erschrökte. Nun trat Heuchelei bei diesen Frazzenseelen an die Stelle der Menschenliebe, und geschwind wurde der Ohnmächtigen mit Riechfläschchens zu Hülfe geeilt. – Das Weibchen wurde gerüttelt, aufgeschnürt und mit wohlriechenden Wassern begossen, bis sie sich wieder erholte und die eine Kaufmannsfrau sie fragte: Madame, wird Ihnen noch nicht besser? O Sie haben uns sehr erschrökt! – Ach nein! – erwiederte die boshafte Kranke – Ach nein! – Es kann mir hier unmöglich besser werden, denn es riecht zu stark nach Stokfischen, nach Oehl, nach Sardellen, u.s.w. Im nemlichen Augenblikke erscholl von den Umstehenden ein lautes Gelächter, und jede Ekke des Theaters war mit dieser Anekdote in einem Hui angefüllt. – Alles, was im Schauspielhause war, fieng an zu zischen, zu stampfen, und zu pfeifen, bis die zwo Huldgöttinnen der Dummheit von einer Menge Buben begleitet nach Hause eileten. – Die Künstlersfrau aber trug das Lob eines wizzigen Weibes davon, und würde um diesen Preis wohl gerne noch mehr solche Ohnmachten ausstehen.

Und nun, meine Beßte, hast Du hier den wahren Beweis meines obigen Sazzes, über den hervorragenden Hochmuth der meisten Kaufmannsweiber. – Doch jezt auch ein Paar Wörtchen über die Liebe zu deinem Oheim: – Dieser Edle muß nun ganz gewis seine Herzenslust an Dir gehabt haben, wenn Du so glühend von Dank an seiner Seite saßest. – O wie sehr verdient dieser Vortrefliche deinen Dank, und Du das namenlose Entzükken danken zu können. Uebrigens, Theuerste, kümmere Dich nicht in Gesellschaften über das[197] Vorurtheil in Ansehung deiner Lebhaftigkeit. Der Umgang eines denkenden Mädchens muß Feuer, muß Freiheit haben, sonst thut er keine Wirkung, und macht die Männer in Gesellschaften gähnen. Munterkeit und ein Bischen wildes Wesen an einem Mädchen ist reizender, als der geschraubte, ängstliche Ton der Blöden, die unter dem Wort Wohlstand ihre wenige Beredsamkeit und ihre flegmatische Dummheit verbergen. Gerade diese Mädchen müßen die Männer lehren den blosen Schein vom Laster selbst zu unterscheiden. – Sie müssen sie lehren einen Blik ins Innere eines Mädchenherzens zu werfen. Sie müßen über alles das die Männer lehren, daß nichts als ein liebenswürdiger Umgang das ächte Mittel ist, die Männer vom Thierischen abzuhalten. – Die herrlichste aller weiblichen Künsten ist, die Männer mit Kopf zu unterhalten. – Dieser Vorzug gehört der Häßlichen so wie der Schönen, und nur zu oft welkt die leztere durch Krankheit frühe schon dahin, dahingegen die erstere mit ihren untilgbaren Reizen ihr ganzes Leben hindurch glänzet. O Mädchen, Mädchen! wie lange wird es noch dauern, eh ihr die Kunst, durch Vernunft zu gefallen, so hinlänglich werdet studirt haben, daß die Männer (den Körper ausgenommen) über euern Umgang nicht mehr die Nase rümpfen? – So eben unterbricht man mich. Noch einen Kuß, und jezt ein warmes Lebewohl von

Deiner Fanny.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 195-198.
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