LXXX. Brief

An Amalie

[213] Meine theuerste Amalie! Was kann ich Dir auf deinen lezten Brief weiter sagen, als was ich Dir schon zu wiederholten Malen gesagt habe? – Du bist zu gut, zu nachsichtsvoll gegen Fehler, die einer dritten Person Abscheu erwekken müßen. Nicht immer, meine Freundin, ist Gutheit Tugend. Wenn diese Gutheit das Laster nährt, dann wird sie sträflich. Erschöpft sind beinahe meine Worte, Dich zu einem Entschluße zu bewegen, den Du über kurz oder lang doch ergreifen mußt. Ich wollte mein Leben daran sezzen, daß dein heilloser Mann Dich noch einstens von selbst verläßt! – Gieb Acht, wenn die Hülfsmittel erschöpft sind, an denen er sich bis hieher erholte, was dann geschieht? – Ich sehe ins Innerste seines Herzens: Eigennuz hält ihn noch an Dich, und sonst kein anderes Gefühl. – Dein Heldenmuth, Dich im Stillen martern zu lassen, ist überspannt. – Der gütige Gott im Himmel fodert von seinen Geschöpfen kein so theures Opfer, das dieselben zernichtet. – Er schuf uns zur Eintracht, und wenn wir in der Welt unglüklich genug sind, diese Eintracht unter unsern Mitbrüdern nicht zu finden, dann ist es unsere Pflicht, die Verfolger zu bedauern, aber nicht unsere gebrechlichen Körper unter ihre leichtsinnigen Bosheiten zu schmiegen. Ein jedes getrettene Thierchen sucht Rettung und Hülfe; und wenn es sich dann zur Vertheidigung zu ohnmächtig fühlt, dann ist Flucht der erste Trieb dem es folgt. Und kann denn etwas Hüfloseres unter den Menschen gefunden werden als ein Weib, die in Ansehung der Stärke sogar bei ihrer Schöpfung den Kürzern zog? – Wenn Sanftmuth und Thränen das Herz eines Mannes nicht zum Mitleiden bewegen, was bleibt ihr dann übrig, einen so mächtigen Wütrich zu besänftigen?[213] Das Vorurtheil hat schon von Anbeginn der Welt seinen Thron aufgeschlagen; der Mann fühlt sein Uebergewicht und läßt es so oft dem armen schwächern Weib auch wieder fühlen. – Aber jezt, meine Werthe, komme ich auf den Punkt, ob Du in der Entfernung von deinem Manne glüklicher seyn wirst oder nicht. – Hier sagt mir meine Vernunft: Ja, Du wirst glüklicher seyn. Ist es nicht besser, blos das traurige Andenken seiner Mißhandlungen zu tragen als die Mißhandlungen selbst? – Und wie kann Dir dein Gewissen über einen Schritt Vorwürfe machen, zu dem er Dich selbst durch sein Betragen reizt? – Du verläßt ja keinen Gatten, Du verläßest einen Peiniger, der Dich nur desto ärger martert, weil er deine Muthlosigkeit kennt. Ich wette alles, daß er sich in lokkern Stunden, über deine Gutherzigkeit noch tapfer lustig macht. – Ich kenne das menschliche Herz: hat es einmal einen übeln Bug, dann ist es zu tausend Verwirrungen fähig. – Wenn das Herz eines Gatten an kleinen Gefühlen, die zur häuslichen Glükseligkeit gehören, keine Freude mehr hat, so ist in einer solchen Ehe der Friede auf ewig verloren! – Rechnen wir einmal die großen Laster deines Mannes hinweg, und bleiben wir blos bei den Kleinigkeiten stehen, die ein sorgender Mann seiner Gattin schuldig ist: – Aber weh uns, meine Freundin! – Ich finde nicht einen Zug in ihm, der von Menschlichkeit zeugte! – Ist er nicht mürrisch, gebieterisch, starrsinnig, unordentlich in seinem ganzen Wesen? – Mußt Du ihn nicht wie einen achtjährigen Knaben pflegen? – Bist Du nicht seine Magd, die aus Gutherzigkeit seine Erziehungsfehler mit Engelsgeduld erträgt? – Genug davon, Amalie, ich weis tausend Dinge, die Du mir nicht einmal schriebst, und die Dich in meinen Augen zur unbegreiflichsten Märtirerin machen! – Uebrigens, meine Freundin, was kümmert Dich das Gezisch deiner Feinde, bei einer Trennung, die jeder Vernünftige nach genauer Untersuchung billigen muß? – Die Welt und deine Feinde, geben Dir ja deine Gesundheit nicht wieder, wenn Du vor Gram da liegst, am Rande deines jungen Lebens! – Daß Du Dich nun,[214] meine Liebe, in deinem Unglük keinen geistlichen Richtern anvertrauen willst, billige ich recht sehr. Sie würden Dir unstreitig dein Elend noch schwerer machen, wenn Du bei Menschen Hülfe suchen wolltest, die Dir sie am Ende des Prozesses doch nur zur Hälfte reichten. Du hast selbst Vernunft und edles Herz genug, um in dieser Sache dein eigner Richter zu seyn. Wozu brauchst Du Erlaubniß zu einer Trennung, die die natürlichste Folge einer so unglüklichen Ehe ist? – Laß sie auftretten, die strengen Richter, und deine Standhaftigkeit bei solchen ausgestandenen Leiden mit der ihrigen abwägen, und ich will verloren seyn, wenn einer davon Dir den Sieg streitig machen würde? – Was nun, traute Amalie, die Art bei euch Katholiken Ehen zu scheiden betrift, kraft welcher man Unzufriedene von Tisch und Bett trennt, so gefällt mir dieselbe durchaus nicht. – Die gegenseitigen oft vorkommenden skandalösen Klagen, sind für denkende Zuhörer solcher Prozeßführungen ekkelhaft, und die Kosten solcher Prozesse zu groß, um eine blose Trennung von Tisch und Bette dadurch zu erhalten. – Diese Art Trennung macht, im Grunde genommen, Eheleute noch weit unglüklicher. Sie entgehen freilich dadurch vielen Zänkereien, aber nur zu oft werden feurige an Ehestand gewöhnte Temperamente noch weit unzufriedener. – An solche harte Fesseln gebunden zu seyn, die Natur für alle Triebe wegen diesen Fesseln erstikken zu müßen, fühllos gegen alles zu werden, was uns aus Liebe das Leben versüßt, mag so ein Zustand nicht eine schleichende Verzweiflung hervorbringen? – Doch, Liebe, jezt kein Wort weiter mehr über einen Zustand, der mich für Dich, arme, gedrängte, gefühlvolle Seele, so manche Thränen kosten wird! – Sey stark, meine Beßte, bring darinn der Tugend ein Opfer, das mehr werth ist, als tausend heuchlerische Ordensgelübde einer Gattung Menschen, die sich so leicht der Enthaltsamkeit wiedmen können, weil ihre Gefühle abgestorben sind. – Doch bei dieser Gelegenheit etwas mehr über die Geistlichen von deiner Religion, wozu mir dein Anmerkung Anlaß giebt: Erst seit einigen hundert Jahren[215] trauern diese Armen unter der Last des Zölibats. Vorzeiten war es ihnen erlaubt an dem sanften Busen einer Gattin hinzuschmelzen und im Gefühl der Liebe ihren Schöpfer zu preisen, der Natur zu danken, und ihr Herz wärmer zu stimmen für Religion und Rechtschaffenheit, die sie jezt ehelos und kalt treiben müßen. – Es ist eine wahre Freude, wenn man den zärtlichen, den warmen, gefühlvollen protestantischen Geistlichen betrachtet; wie er sein von Gattenliebe angefülltes Herz jedem seiner Nebenmenschen öffnet, wie er weich ist für Religion und Pflicht, wie er als Vater seiner Kinder, als guter Bürger seine Tage in den Armen seines liebevollen Weibes dahineilen sieht. – Da indessen der katholische Geistliche sein Gefühl tirannisirt, von Langerweile gemartert wird, die Religion kalt und unzufrieden ausübt, oder gar aus Menschenschwäche auf ärgerliche Irrwege geräth. – Gott! – Gott! – Warum duldest Du im Menschen so viele Erfindungskraft, sich unter einander selbst zu Grunde zu richten? Warum legtest Du Gefühle in die Natur, deren mäßiger Gebrauch uns unaussprechlich glüklich macht? – Und warum werden denn diese Gefühle von versengten Menschengehirnen uns zum Laster angerechnet? O du guter Gott! – Besser bist Du in deinen Geboten, als es die Menschen sind! – Du strafst nur den Misbrauch deiner Wohlthaten. Du schufst uns ja zur Liebe, zur Begattung; und Menschen wollen es wagen deine Schöpfung zu tadeln, Triebe zu unterdrükken, die uns doch so weich zum Guten machen. – Es ist unstreitig wahr, meine Amalie, nur tugendhafte, auf Grundsäzze befestigte Liebe macht den Menschen zum wahren Menschen. O, was man da alles fühlt! In den Armen der Liebe ist Seligkeit genug, um jede andere Leidenschaft mit leichter Mühe zu unterdrükken! Aber so lange die Menschen nicht lieben, und nicht durch das Lieben denken lernen, eben so lange wird das Laster noch überall seinen Wohnsiz behaupten. Lebe wohl für heute, theures Malchen!


Deine Fanny.–[216]

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 1,217.
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