Vorerrinnerung des Herausgebers.

[3] Feinheit der Gedanken und Leichtigkeit des Ausdruks zeichneten von jeher die Schriften der Frauenzimmer aus, welche sich zu Selbstdenkerinnen emporgeschwungen hatten.

Auch diese Briefe tragen das Gepräge dieses karakteristischen Kennzeichens an sich, woran die Leser und Leserinnen der Geschichte Amaliens leicht das Frauenzimmer erkennen werden, das ihnen durch ihre so liebenswürdige Philosophie schon allzuwol bekannt[3] seyn wird, als daß ich nöthig hätte, meiner wenigen Beredsamkeit aufzubieten, um ihr Lobredner zu werden.

Das edle, jedem Wohlwollen offne Herz, der ausgebildete Verstand, der muntre, kühne Wiz dieser Denkerin, bedarf keiner Empfehlung an alle Die, welche Tugend und Geistesfähigkeiten zu schäzzen wissen; aber Schade ist es, daß bisher die Talenten dieser liebenswürdigen Schriftstellerin nicht allgemeiner bekannt geworden sind; da doch so manches Frauenzimmer im lieben Deutschland auf den Flügeln wohlwollender Freude zum Tempel des Ruhms emporgetragen wird, welcher vielleicht selbst vor der Höhe schwindelt!

Warum sollte es nicht Pflicht seyn, im Verborgenen schimmernde Talenten hervor ans Licht zu ziehen, damit auch Andre sich drob freuen, sich daran laben können; – damit sie blühen, diese verkannte Talenten, und Früchten tragen mögen zum Vortheile der Gesellschaft? –

Einen kleinen Theil dieser Pflicht glaube ich nach meinem wenigen Vermögen zu erfüllen, indem ich dem Publikum dies Werkchen vorlege, dessen unverkennbare Schönheiten das Zischen des Neides überstimmen werden, der so selten den Verdiensten eines denkenden Frauenzimmers Gerechtigkeit widerfahren läßt![4]

Es sind Briefe, die eine im Grunde wahre Geschichte enthalten; – Briefe, in welchen die feinsten Empfindungen mit den edelsten Grundsäzzen verwebt sind; – Briefe, deren natürlicher, ungeschminkter, launigter Ton, deren warmgefühlte Ausdrükke, und kühne, vorurtheilfreye Schreibart, sich den Lesern ebensowohl, als das Interessante der Geschichte selbst empfehlen werden.

Treffende Schilderungen von Situazionen – tiefe Blikke ins menschliche Herz – launigte Erzählungen – satirische Anmerkungen – kühne Ausfälle auf verjährte Vorurtheile wechseln mit der Sprache des Gefühls und der Leidenschaften ab, die mit ihren feinsten Schattirungen in diesen Briefen ausgemalt werden.

Unter die ersten Verdienste dieses Werkchens gehört auch die edle Freimüthigkeit, mit welcher unsre Denkerin die Thorheiten bekriegt, und dem verkappten Laster die Maske vom Gesichte reißt; nicht in heiliges Dunkel verhüllte Rechte tief eingewurzelter Vorurtheile, nicht Furcht vor dem Gekrächze blödsinniger Dummköpfe hält sie ab, die selbstgefühlte Wahrheit zu denken und zu schreiben; und jeder Denker wird mit innigem Vergnügen ein Werk lesen, das blos ein Kind der Natur ist, und als ein solches ohne künstlichen Wortprunk,[5] ohne gesuchten Schmuk, ohne Ziererei so geradehin sich jedem Freunde der Aufklärung empfiehlt, der den Kern nicht über der Schale vergessen, und an pedantischen Wortklaubereien hängen bleiben wird.

Wenn man schon gewöhnlich dem schönen Geschlechte das Denken untersagt, weil es Kopfweh machen soll, so glaube ich doch meine Leser versichern zu dürfen, daß selbst Männer von geübterem Nachdenken bei der Größe der Gedanken und Empfindungen dieser Schriftstellerin staunen, und, wenn ihre Eigenliebe es ihnen schon verbietet, ihre Früchte des Nachdenkens zu bewundern, doch den stillen Beifall nicht versagen werden.

Ich bin zu wenig von den Künsten gedungener Lohntrompeter unterrichtet, als daß ich es wagen wollte, durch meinen Posaunenton das laute Jubelgeschrei zu überstimmen, womit so manche, weniger denkende Frauenzimmer von gewissen Leuten ausgeschrieen werden, deren Stimme auch bei der besten Lunge doch am Ende heischer wird.

Ich schweige – dies Werk mag seine Verfasserin selbst empfehlen, und diese Wirkung wird es auch bei jedem Freunde des Nachdenkens hervorbringen, der geborgten Wiz von dem eigenthümlichen[6] Gedankenschwunge einer Schriftstellerin zu unterscheiden weis, die ohne auf das Prädikat einer Gelehrten Anspruch zu machen, vielleicht weiter denkt, als manche von hoher und tiefer Gelehrsamkeit strozzende Dame.

Genug davon! – Die Leser dieses Werks werden sicher mit mir darinne übereinstimmen, daß es unverantwortlich wäre, eine Schriftstellerin nicht aufzumuntern, deren erste Arbeiten uns noch so vieles für die Zukunft erwarten lassen.

Aber freylich ist es das gewöhnliche Loos der Frauenzimmer, die sich erkühnen, ihre Geistesprodukten dem Publikum vorzulegen, daß man ihnen die Ehre, Verfasserinnen zu seyn, rauben will, wenn ihre Arbeiten sich über das Mittelmäßige erheben, und sie mit lautem Spotte belohnt, wenn sie ihre Gedanken nicht gerade nach der einmal üblichen Form gemodelt haben; wenn ihre Schreibart nicht eben so fehlerfrey ist, als der Styl des Gelehrten, der seine Jugendjahre mit Silbenstechereien zugebracht hat.

Der Beifall der Denker wird der Verfasserin dieses Werks Reiz genug seyn, auch fernerhin der Lesewelt ihre Arbeiten aufzutischen.[7]

Mehr darf ich izt nicht sagen, und ich glaube schon zu viel gesagt zu haben, als daß ich mich nicht gefaßt machen sollte, mich mit den Abgesandten des Neides recht schriftstellerisch herumzubalgen, die wohl nicht unterlassen werden, auch dies Werk mit ihrem Gifte zu besudeln.

Für alle Andere bedarf es keiner Empfehlung, es empfiehlt sich selbst; und ich befürchte den Unwillen der Leser auf mich gezogen zu haben, da ich sie durch meine geschwäzzige Vorrede so lange von der Lektur des Werkes selbst abhielt.


Im Dezember 1787.

T. F. E.
[8]

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 3-9.
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