CIX. Brief

An Amalie

[105] Innigen Dank dem Allmächtigen, daß er Dir durch deines Mannes Tod wieder die vorige Freiheit schenkte! –

Richte Dich auf, meine Liebe, vielleicht ruhest Du bald wieder an dem Busen eines bessern Gatten! – Kümmere Dich nicht zu viel über die Zukunft, es schwächt deine Seelenkräfte! –

Du wirst zwar in der großen Welt nie die sanfte Ruhe finden, deren Du bedarfst. – Sie ist für Herzen von unserm Schlage nicht gemacht. – Redlichkeit und Tugend trägt da die Larve der Verstellung, deren wir unfähig sind! – Daß Du aber, meine Theuerste, keiner Mannsperson mehr trauen willst, ist eine Lüge, die Dir blos deine Schwermuth in düstern Stunden eingiebt. – Vielleicht hat Lustrini[105] izt schon dein Herz in Versuchung geführt! – Du hast den guten Jungen doch äußerst gemartert. – Er wird sich schon rächen, wenn es ihm gelingt deine Neigung zu reizen. – Handle ja aufrichtig gegen mich über diesen Punkt, wenn Du mir wieder schreibst. – Um Dir mit gutem Beispiel vorzugehen, sollst Du izt offenherzig etwas von meinem Karl zu hören bekommen. –

Ja, ja, Amalie! – von meinem Karl, von dem ich Dir noch kein Wort schrieb. – Schon seit langer Zeit hielt er die größten Prüfungen der Standhaftigkeit aus. – So sehr mir auch das Andenken betrogener Liebe noch im Kopfe schwirrte, so konnte ich doch dem guten Jungen nicht länger widerstehen. Er liebt mich mit einem Feuer, das einstens meine Glükseligkeit ausmachen wird, weil es ihm gelang, die Wunden ganz zu heilen, die mir ein Treuloser schlug. –

Liebe hat troz der kältesten Vernunft eine so unumschränkte Gewalt über das menschliche Herz, daß es den größten Philosophen nicht immer gelingt ihr zu entgehen. – Mein Karl und ich sizzen oft ganze Stunden beisammen und plaudern von Dir. – Er ist im Umgang ein allerliebster Junge, hat Kopf, Herz und vieles Gefühl. Möchten doch unsere Glüksumstände eine bessere Wendung nehmen – um Dich deinem ungewissen Schiksale entreißen zu können! – Du wirst doch nicht vorbeireisen, ohne bei uns einzukehren? – Aber bringe uns dein Gretchen nicht mit, sie taugt nicht unter uns. – Schaffe sie Dir mit Anstand vom Halse, sie ist ein verdorbenes, elendes Geschöpf. –

Du magst es bei deiner Ankunft entscheiden, ob ich es aufs Neue wagen darf, ein Band zu knüpfen, das Karl so leidenschaftlich wünscht! – Wenn er nur keine Stiefmutter hätte! – Wenn er nur schon mit mir am Altar stünde! – Wenn.... Ha! – Ich habe der Wenn noch so viele, die mir Kummer machen! – Schreib mir[106] doch noch vor deiner Abreise, und sey meiner freundschaftlichen Liebe versichert, mit der ich immer seyn werde

Deine traute Fanny.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 105-107.
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