CXXV. Brief

An Fanny

[141] Daß Dich doch! – Schon wieder eine Reisebeschreibung? – wirst Du deinem Karl ins Ohr flüstern. – Ja, meine Liebe; und überdies eine recht artige Geschichte, die mir mit einer ganz fremden Dame begegnete, über die meinetwegen Spötter lachen mögen; genug – ich bürge für ihre Wahrheit.

An einem Tage mußte unsere ganze Gesellschaft in einer elenden Hütte ihr Mittagsmahl halten. – Die Wirthsleute waren äußerst arm, und hatten kaum so viel, um den Hunger[141] unserer Pferde zu stillen. – Ich will Dir die Unruhe von etlich dreißig Personen nicht schildern, wovon nur wenigen ein hartes Stükchen Fleisch, den andern gar nur troknes Brod zu Theil wurde. –

Ganz niedergeschlagen saßen einige von uns an einem Tische – und staunten auf die hölzernen Bestekke hin, die uns vorgelegt wurden; als plözlich ein Wagen mit vier Pferden den Hof hereinrasselte und uns die Neugierde aus dem Zimmer trieb. – Zween Bediente hoben ein Wesen aus dem Wagen, das seiner Kleidung nach einer Mannsperson glich. Eine Art Kaput, Stiefel und Hut war seine Kleidung. – Der Fremdling blieb einige Minuten stehen, sah uns alle nach der Reihe an, besonders aber mich... und flog mir mit einem Mal feurig an den Hals! – Ich erschrak, hielt es für Frechheit, und wollte mich loswinden. – »Fürchten Sie nichts, meine Beßte! – (hörte ich eine Weiberstimme sagen) Ihre Phisiognomie gefällt mir; wollen Sie meine Freundin seyn?« – Dann zog sie mich in das Kämmerchen, wo die hölzerne Bestekke lagen, befahl ihren Bedienten unsern Tisch mit Silbergeschirr zu bedekken, Wein und Essen aus dem Wagen hereinzutragen, um uns auf die freundschaftlichste Weise zu bewirthen. – Während der Mahlzeit liebkoste sie mir wie einem Kinde, und wiederholte öfters: »Haben Sie nicht Lust nach Siebenbürgen zurükzukehren? – Welcher Zufall brachte Sie zu diesem Stande? – Schreiben Sie mir doch, hier haben Sie meine Addresse!« – Am Ende beschenkte sie mich noch mit verschiedenen Sachen, und stieg dann weinend in den Wagen. –

Sie ist eine gewisse Baronesse von L... aus Klausenburg, ihr Betragen ist lebhaft, aber mit einer heimlichen Schwermuth durchwebt; ihr Gesicht trägt die Spuren der Redlichkeit. Nur Schade, daß ich die Liebenswürdige so bald verlassen mußte, die sich aus wahrer Sympathie meinem Herzen[142] näherte. Seither hat sie mir schon einmal geschrieben, und mit einer Wärme, die ganz ihrem edeln Herzen eigen ist. –

So viel von dieser Geschichte. – Nun endlich auch einmal zur Beantwortung deines leztern Briefes.

Wie vortreflich, meine Theure, ist dein Entwurf; und wie vielen moralischen Nuzzen könnte es bei den jezzigen so zügellosen Theater-Sitten schaffen, wenn er ausgeführt würde! – Es wundert mich sehr, daß noch kein Moralist auf diesen Gedanken gerieth; daß man die Reinigung der Bühnen so lange anstehen ließ, bis ihre moralischen Sitten schon fast bis in Grund verdorben sind; wo Jeder dabei treiben kann, was seinem Laster gelüstet; wo man ungeahndete Freiheit genießt, sich in jeder Weichlichkeit herumzuwälzen; wo sich die wenigsten Polizeien um die Aufführung des Schauspielers kümmern; wo die meisten Direktoren blos Pflanzschulen der schändlichsten Ausschweifungen unterhalten; wo Religion, Ehre und Redlichkeit keinen Wohnsiz haben. – Und solche Bühnen werden nicht untersucht; es werden ihnen keine Schranken gesezt? –

Kaum ist es begreiflich; da doch schon so viele würdige Schriftsteller darüber jammerten und all ihr Gefühl anstrengten, um den Staat aufmerksam darauf zu machen. – Nur einige Fürsten gaben in Rüksicht dessen kluge Gesezze heraus, und ließen sie in öffentlichen Blättern einrükken, um sie überall bekannt zu machen und um Nachahmer zu finden. – Möchten diese edeln Absichten von mehreren genehmiget wer den! – Möchten Minister und Polizei-Räthe von keinem Privat-Interesse verleitet werden, ausschweifende Schauspielerinnen zu schonen, und es nicht ferner verhindern, daß die Stimme der bessern Einrichtung so selten bis zum Ohr des Herrschers dringen kann. – So denkt

Deine Amalie.[143]

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 141-144.
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