CXXVII. Brief

An Fanny

[146] Daß doch das Unglük nur immer rechtschaffene Seelen verfolgt. – Ich kann Dir den Jammer nicht hinlänglich beschreiben, der sich izt bei unserer Gesellschaft eingeschlichen hat. – Schon seit sechs Wochen liegen alle bis auf mich am kalten Fieber darnieder. – Nur erst seit wenig Tagen macht dieser häßliche Gast izt auch bei mir seinen täglichen Besuch. – Du solltest mit deinem gefühlvollen Herzen sehen, wie die Leute aus Liebe für ihren guten Direktor ihre lezten Kräften anstrengten, und ohne daß er es einem zumuthet, von selbst aus gutem Willen mitten im Fieber spielten. – Bis izt wechselte das Fieber unter einigen ab, und nicht alle wurden gerade zu der Stunde der Vorstellung davon überfallen, sie konnten daher unter einander mit Spielen abwechseln,[146] so daß unser Schauspielhaus an den bestimmten Tagen nicht verschlossen bleiben durfte. – Aber nun hat das täglich anhaltende Fieber die Kräften eines Jeden so abgemattet, daß sie alle zum Spielen untauglich sind; alle Hofnung ist nun verloren, fernerhin Vorstellungen geben zu können. – Der menschenfreundliche Direktor zahlt seinen Leuten schon seit einiger Zeit große Summen, ohne die geringste Einnahme zu haben. – Endlich aber wird dieser brave Mann aus Liebe für seine Familie gezwungen die Direktion völlig aufzugeben, um mit seiner kranken Gattin zu seiner Swiegermutter nach P... zu reisen. – Höre seine vortreflichen Anstalten in einer Lage, wo jeder minder fühlende Direktor gewis nicht so edel handeln würde: – Er liefert auf seine eigenen Kosten die ganze Gesellschaft bis Wien, giebt jedem noch sechs Wochen Gage obendrein, und empfiehlt sie der Vorsehung. – Kann der würdige Mann bei einem solchen starken Verlust mehr thun? – O, es schmerzt mich unendlich, diese brave Familie verlassen zu müßen! –

In wenig Tagen reisen wir alle zusammen von hier ab. Gott! wenn nur diese Reise schon ihr Ende erreicht hätte! – Denke Dir einmal ein solches Häufchen kranker Leute zusammen, die alle durchs Reisen noch kränker zu werden befürchten müßen. – Der Allmächtige möge unser Geleitsmann seyn! – Ei, das ist doch ärgerlich! – Schon wieder schaudert der Fieberfrost durch meine Glieder, und ich muß wegen starken Kopfschmerzen aufhören mich mit Dir zu unterhalten. – Kümmere Dich nicht um meinetwillen, meine Freundin, es wird besser werden; – ich habe seit einigen Tagen schon außerordentlich viel China zu mir genommen.

So bald ich in Wien anlange, und mich nicht über häufte Geschäften daran hindern, erhältst Du wieder Nachricht von meiner Gesundheit. – Sollte sie sich noch mehr verschlimmern, so laß ich Dir durch jemand andern schreiben.[147] Sey also ruhig, und liebe fernerhin deine arme kranke Freundin

Amalie.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 146-148.
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