CLVIII. Brief

An Amalie

[229] Nun da haben wirs ja; schon wieder verliebt! und noch obendrein so ernsthaft, so verborgen, daß Du selbst nicht einmal weist, was in deinem Herzen vorgeht.

Noch schleicht die Liebe, diese allmächtige Beherrscherin, bei Dir unter dem Dekmantel der Freundschaft umher, aber nimm Dich in Acht, Freundschaft unter zwei Gefühlvollen ist ein gefährlicher Schleichhandel, der schon so oft in Liebe übergieng. –

Wenn dein ernsthafter, empfindsamer Freund wirklich so ernsthaft ist, als Du mir ihn schilderst, dann ist er gewis auch meiner Achtung würdig. – Doch wer bürgt mir in deinem jezzigen Zustande für die Richtigkeit deiner Beurtheilung? – Sein liebenswürdiger Karakter ist zu ausgezeichnet, als daß er auf ein Frauenzimmer, wie Du bist, keinen Eindruk machen sollte. – Er mag immer ein vortreflicher junger Mann seyn, – Du bist es ihm schuldig, ihm Gerechtigkeit[229] wiederfahren zu lassen, – aber deine heimliche Neigung könnte leicht mehr für ihn sprechen, als deiner Ruhe dienlich wäre. –

O, es ist für ein denkendes Frauenzimmer eine zu reizbare Versuchung, den Mann zu entdekken, der auch die geringsten seiner Begierden zu unterjochen weis, der sich in der Liebe nicht durch kleine Galanterien zu größern Vergehungen verleiten läßt. – Und dieser so schöne Zug aus deines Freundes Karakter, hätte er wohl deine unzufriedne Ahndung verdient, wenn dein Herz nicht im Stillen Wünsche nährte, deren sich deine Vernunft schämt? – Schlüge dein Inneres nicht jezt schon für Liebe, die Nachricht von seiner Verbindung mit jenem Mädchen würde Dich gewis nicht so erschüttert haben. – Merkst Du denn noch nicht, wo dein Herzchen mit all diesen Aeußerungen hinaus will? – Hat dein feuriger Unwille, der merkbare kleine Neid, der noch immer mit der schüchternen Zurükhaltung streitet, etwa nichts zu bedeuten, das an Liebe gränzt? – He, Weibchen! – He! – Glaube mir, in der Freundschaft bedauert man einander nicht mit solcher stürmischen Heftigkeit; Mitleiden in dergleichen Fällen ist der nächste Schritt zur Liebe. –

Aber um Vergebung, beßtes Malchen, sollte ich deiner Neigung hierinnen nicht ein Bischen Uebereilung zur Last legen? – Hast Du denn auch die Folgen überdacht? – Um Gotteswillen bedenke, wenn sein Mädchen wirklich heimliche Leidenschaft für ihn fühlte, wie er vermuthet, und er fühlte dann, ohne es selbst recht zu wissen, für Dich und Du für ihn; was entstünde wohl hieraus für ein Kaos? – Und wer müßte sonst wohl das Opfer dieser Leidenschaft werden, als Du? – Täuscht euch ja nicht länger, lieben Kinder, mit eurer Freundschaft; brich entweder die Bekanntschaft auf der Stelle ab, oder Er mag ihr eine andere Wendung[230] geben, so bald er überzeugt wird, daß sein Mädchen eine Undankbare ist. –

So viel mich dünkt, kettete ihn der Zufall und ein leeres, unbeschäftigtes Herz an sie, und ich wollte alles darauf sezzen, das Mädchen gefällt ihm nicht mehr, seitdem er Dich kennt; noch streitet er mit Liebe und Pflicht; noch kämpft er mit unbekannten Empfindungen, aber gewis nährt sein Herz den heimlichen Wunsch, daß ihn sein Mädchen zurükweisen möchte; so viel habe ich aus seiner Aeußerung gegen Dich geschlossen. – So stumm auch immer sein Mund ist, so übereilt auch seine Handlungen sind, so wenig er sich auch an deiner Seite zu deinem Vortheil zeigt, desto mehr sprechen seine häufigen Besuche. –

Werde mir aber ja nicht eitel, Malchen, wenn ich Dir sage, daß ich in das Herz deines Freundes und in das deinige hineindrang, und in dem ersten Spuren entdekte, die deiner Eigenliebe schmeicheln können. – Der junge Mann besizt Kopf, Gefühl und Geschmak; glaubst Du also nicht, daß er in der Liebe etwas ihm ähnliches suchen wird? – Ich kenne zwar sein Mädchen nicht, aber ich weis, daß es wenige Mädchen giebt, die einen verdienstvollen Denker zu fesseln wissen. – Blos aus Pflicht hängt er noch an ihr! – Ein schönes Wort für den ehrlichen Mann! aber welch ein Unterschied zwischen kalter Pflicht – und wirklicher Liebe! – Sey behutsam, theure Freundin! sey behutsam! warne deinen Freund vor Selbst-Täuschung, flöße auch ihm Behutsamkeit ein, und erinnere Dich an die Ermahnungen deiner Freundin

Fanny.[231]

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 229-232.
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