LXXXVIII. Brief

An Amalie

[27] Deine beiden Briefe, meine Freundin, bestätigen ganz meinen Grundsaz, daß mit den wenigsten Weibern etwas vernünftiges anzufangen ist. – Ich kann nicht begreifen, wie man ihren Köpfen, die beinahe alle verdorben sind, das Werk der Erziehung anvertraut. – Die Nonnen erschleichen sich[27] durch den Schein der Frömmigkeit das Zutrauen der leichtgläubigen Eltern, auf Unkosten der armen Jugend. Die Eltern sind gewohnt, das Kloster als eine sichere Festung der Tugend für ihre Kinder zu betrachten. – Riegel und Schlösser scheinen solchen blödsichtigen Leuten das beßte Mittel, das jugendliche Feuer eines raschen Mädchens einzuschränken. Die Kurzsichtigen begreifen nicht, daß gerade das der Weg ist, ihre Töchter dem Abgrund zu nähern, dem sie an der Seite einer guten Mutter leichter entgehen würden. Lebhafte Temperamente bahnen sich durch Einsperrung den Weg zum hartnäkkigen Laster. – Das beßte Mädchen wird dann durch Zwang zur boshaften Dirne, und befolgt nur widerspenstig ihre Pflichten. Klostererziehung ist eine verderbende Seuche, die durch schiefe Leitung die beßten Herzen zur Fäulnis bringt. Doch ist die üble Lehrart unter diesen Weibern nicht so sehr Nachläßigkeit, als Mangel an Einsichten. – Dumme Erziehung pflanzt sich von einer Nonne zur andern fort, und nur selten giebt es ein Weib, die Fähigkeit genug besizt, Menschen (im ganzen Verstande dieses Wortes) zu bilden. Ihr Despotismus ist gerade das gefährlichste Mittel, junge Seelen zu Grunde zu richten. Gutheit, Sanftmuth, Vernunft, Nachdenken, Ergründung der Temperamenten ist zwar nicht die Sache einer Jeden, weil ihr dieser Weg, aus Mangel an eigener Erziehung, selbst fremd ist. Solche Nonnen arbeiten meistens fürs liebe Brod, und kümmern sich wenig um das einzelne Wohl eines Zöglings, der für sein Geld sich seinen Untergang eintauscht. – Wäre es diesen Weibern um das Glük ihrer Zöglinge zu thun, so würden sie nicht mehr Kostgängerinnen annehmen, als sie übersehen können. Die Vernünftigste unter ihnen kann denn doch in ihren Mauern die nöthige Erfahrung nicht haben, um ein Mädchen mit Welt- und Menschenkenntnis zu erziehen. Wo findet man unter den Weibern so leicht selbsterworbene[28] Menschenkenntnis? – Ihre Köpfe sind mit etlich Duzzend Alltagssäzzen angefüllt, und auf diese gründet sich ihre ganze Erziehung, ohne Rüksicht auf die Verschiedenheit der Temperamente. Die klügern Protestanten lehren ihre Kinder in keinem Kloster, sondern im Kindersesselchen schon die Pflichten gegen Gott und ihre Nebenmenschen kennen; da hingegen die katholischen Klosterzöglinge manchmal ihr ganzes Leben hindurch kaum ihr Daseyn fühlen. – Das Buch der göttlichen Offenbarung ist ihnen eben so fremd, als das schöne Gefühl der lieben Natur, worinn die Allmacht des Schöpfers so kennbar geschrieben steht. Gellert, dieser vortrefliche Lehrer der erhabensten Begriffe von der Herrlichkeit Gottes ist in den Augen der meisten Nonnen ein Kezzer. Ihre rasende Ignoranz geht bis zum Abscheu! – Die Wut des Vorurtheils sizt mächtig stark in ihren elenden Köpfen; und so pflanzen sie die Unerträglichkeit auch in ihren Zöglingen fort. Die Protestanten sind weit gutherziger, und sorgen feuriger für das Wohl ihrer Kinder. – Ich selbst war einst Augenzeuge, daß die katholischen Starrköpfe von Nonnen ein protestantisches junges Mädchen nicht in ihre Verpflegung aufnehmen wollten. – Kann man den unsinnigen Haß weiter treiben? Wer giebt diesen Boshaften das Recht, eine andere Religion anzufeinden? – Die Elenden wagen es, ihrem unschuldigen Nebenmenschen Liebesdienste zu verweigern, die der Heiland selbst nicht versagte! – Von elenden Grillen angestekt, wandeln sie auf dieser Erde den verdienstlosen Weg fort, der ihnen von einem gallsüchtigen Gewissensrath vielleicht in der Beicht ist angewiesen worden. Wie kann denn ein junges Herz bei so einem Beispiel Menschenliebe lernen? – Wer das Unglük seiner Mitbrüder nicht erleichtert, wer sie nicht liebt, sie mögen auch hingehören, wo sie wollen, der wird meineidig am Schöpfer! – Und nun genug von einer Sache, die wir doch nicht ändern[29] werden! Lebe wohl, gutes Malchen! – – Lebe wohl! –


Fanny.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Amalie. Band 1–2, [Bern] 1788, S. 27-30.
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