XVI. Brief

[31] O du einziger Vertrauter meines Elendes! – Glaubst Du wohl, daß ich zu Bette gehen könnte, ohne Dir einen Auftritt zwischen mir und Schark zu beschreiben, worüber Du zittern wirst! – Auch von meiner ausschweiffend heftigen Seite mußt du mich izt kennen lernen, damit Du nicht lauter Tugend in mir suchest. – Dann mag Deine Vernunft entscheiden, ob es sträflich ist, wenn ein gutes Herz sich vergißt? – – Sieh ich beichte Dir sogar meine Fehler, weil ich überzeugt bin, daß Du klug genug bist, um die Quelle dieser Fehler einzusehen, und meine sonst so äußerste Gutherzigkeit ihnen entgegen zu sezzen.

Selig waren heute für mich die Augenblikke, die ich an Deiner Seite verlebte, aber als Du, Sohn der Tugend, mich verließest, o da sah es wieder um mich schröklich[31] finster aus! – Kurz nach Deiner Entfernung kam Schark, seine Untreue fiel mir schwer aufs Herz, ich konnte keine Silbe hervorbringen, stumm und schluchzend warf ich mich auf's Bette, als er plözlich über meine Thränen mit Rohheit zu lachen anfieng. – Jesu Maria! – Was da in mir die Galle kochte! – Ich bat ihn vernünftig zu seyn, aber es war zu spät, die Wuth riß mich hin! – Gott verzeihe mirs! –

Ich faßte den schändlichen Wollüstling beim Hals, er hielt mir den Arm zurük, ich hätte ihn sonst erwürgt, so sehr war ich außer mir! – Meine Kniee zitterten, der Gedanke an Dich hielt mich noch zurük! – Dann wankte ich an's Bette, und heulte laut! – Nun wandelte ihn wieder auf einmal die Boßheit an, er drohte mir wütend, ich schwieg, und reizte ihn nicht weiter. – Doch plözlich kam ich wieder von Sinnen, ich suchte ihm zu entwischen, er hielt mich gebietend zurük, und was blieb mir armen Gefangenen übrig, als zu weinen? – – Da saß er nun wie ein sträflicher Sünder, sprachlos, und bat mich seinen Hals-Kragen, den ich ihm in meiner Wut zerrißen hatte, wieder zurecht zu machen. –

Ich mußte in dieser beiderseitigen gefährlichen Stimmung zur Mäßigung schreiten, sonst wäre es zu gräßlichen Auftritten gekommen. – – –

Bei Gott! Wäre Deine Liebe nicht, ich liefe heute noch so weit mich die Füße trügen! – Um Deinetwillen, Friz, mußte ich mich faßen, ich hörte jezt nichts in meinen Ohren, als Deine Stimme, Dein Gebet für mein Wohl! – – –

Meine Kälte empörte seinen Zorn aufs neue, und ich drohte ihm mit Abänderung meiner Lage. Er schien diese Drohung über die Achsel zu werfen, und warf mir mein Unvermögen vor, ich entsezte mich, wie man mit der tugendhaften Armuth so handeln kann. – –

Friz, das Laster hat sich an mir verschworen, die ärgste Grausamkeit wird an mir ausgeübt! – Den schwärzesten[32] Betrug tischt man mir täglich auf, und ich wäre die Nina, deren Herz, Karakter, Fleiß, Sorgfalt, und Rechtschaffenheit es (wie die Leute sagen) mit einer Jeden aufnehmen dürfte? – – Ich wäre der Zögling edler Eltern, die mich nach ihrem Ebenbilde voll Großmuth und Tugend erzogen? – O es ist eine Lüge! – Sonst würden mich die Menschen beßer behandeln! –

Ich bin eine Arme, ohne Dich verloren an Leib und Seele! – Außer Dir lebt für mich nichts mehr in der Welt, das mich begreifen kann! – Außer Dir ist mir die elende Welt zur Last, ja, Friz, eine Last, die ich gewiß nicht länger tragen wollte! – Wenn man dich von mir riß, o, dann wüßte ich schon, was aus mir würde! – Ich trage ein krankes Gemüth herum, das gewiß durch Deinen Verlust den verzweiflungsvollen lezten Stoß erhalten würde!!! – –

Doch ich weis, Du liebst mich, ich weis, Du wirst eher die Erde bauen, als mir ferner eine Thräne von Undankbaren auspreßen laßen. – Sey also gelaßen gegen Schark; Wuth würde mich nur noch unglüklicher machen. – – Ich will dulden, ich will leiden, ich will tragen die schröklichen Folgen meines allzu guten Herzens! – Der Elende treibt es nun so weit, daß er mich hartnäkkig foppt und mich zu gutherzig glaubt, um jemals mit ihm zu brechen. – Er weis, daß mein Stolz sich niemanden so leicht anvertraut, er kennt meine Grundsäzze, daß ich in der größten Dürftigkeit nie bei Männern Hülfe suche. Er vermuthet nicht, daß ein junger großmüthiger Teutscher edel genug denkt, mir ohne Vergeltung Leben und Ruhe zu retten, – Kurz, er spottet meiner Güte und lacht meiner Drohung. – Er hält sich in der weiten Schöpfung für den einzigen standhaften Mann, der, wenn er gleich mich rükwärts betrügt, dennoch alles mit mir theilte. – So spricht sein Hochmuth, darauf ist er eitel.

Gott, was ich Dir da für Zeug schreibe! – Was ich[33] verwirrt bin, wie es mich drükt, wie es mich ängstigt! – Um Gotteswillen! Wärest Du doch gegenwärtig! – Es ist mir so bange, mein Blut hat seinen Lauf verfehlt, es drängt sich so an's Herz! – Friz, so schröklich ist Dir wohl nie gewesen? – – Gewiß nie! –

Ha! Wenn Du jezt da wärst, und mir nur einen Tropfen Wasser reichen könntest! – Wenn Du mir den brennenden Kopf hieltest, wenn Du sie aufheitertest, meine gebeugte Seele, o dann wollte ich gerne um diesen Preis tausend solche Stürme ertragen!

Schikke mir den Arzt, ich will mit ihm sprechen, es ist warlich mit meiner Gesundheit nicht zu spaßen, ich ahnde wieder Konvulsionen, und Blutsturz. – Bei solchen anhaltenden Martern ist es ja leicht möglich. – Schlafe wohl, Engel der Sanftmuth, Deine

Nina.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. ] 1788, S. 31-34.
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