XXIII. Brief

[46] Schon sieben Uhr vorbei, und Schark war nicht hier. Wo in aller Welt mag er heute wohl stekken? – Vermuthlich schwelgt er izt in den Armen der Wollust. – Wäre noch Liebe für ihn in meinem Herzen, so liefe ich heute Abend noch alle Straßen durch, suchte ihn auf, und fände ich ihn an einem Orte, der mich beschimpfte, dann ... Ha! – Dann weh ihm!!!

O wie schön ich mich heute für seinen Undank hätte rächen können! – Doch pfui! – Er verdiente eine solche Rache nicht, die auf Unkosten meiner Ruhe gienge. – Es ist zwar gräßlich, gräßlich, sich unschuldig so behandelt zu sehen! – Was doch die meisten Männer für Ungeheuer sind! – Zittern sollte man vor ihnen, wenn man sie nicht lange, lange, geprüft hat! –

Aber so viel ist gewiß, Friz, daß Du eine Ausnahme bist. – Doch hüte Dich ja nicht dringender zu werden, sonst wacht der höllische Argwohn über Dein Geschlecht wieder in mir auf und trist auch Dich! – Dann könnte ich Dich unschuldig beleidigen. –

Es ist nicht Mißtrauen, aber es ist die feurigste Bitte, die ich an Dich wage! – Frage nicht ferner nach der Ursache, gieb mir darinnen nach, wenn Du mich liebst. – –[46] Das kannst Du, das wirst Du um Deiner armen Nina willen, die heute wieder mit der schwärzesten Melankolie ringt! –

Ich fodere dieses Opfer von Deiner Liebe, und solltest Du mich wieder einmal so schwach, wie heute sehen, o dann fliehe mich! – – Sonst könnte es leicht Deine und meine Ruhe kosten. –

Du bist ein Engel in der Bezähmung Deiner Begierden, Du hast Stärke über Dich und mich, aber Du mußt nur wollen, und nicht immer durch tolles Schwärmen Dich und mich reizen. Bin ich denn so arm an Unterhaltung? – – Friz, richte Dich wieder so ein, wie Du warst, wenn Du nicht die Glükseligkeit meiner reinen Liebe mit Gewalt stören willst. –

Nenne es Vorurtheil, nenne es Grille, nenne es Mißtrauen, genug der Aufschub einer engern Verbindung dient mir zur Ruhe und versüßt mir die Stunden einer wonnevollen Erwartung. – Brause nicht wieder über diese Sprache, sonst liebst Du mich nicht absichtlos, dann weh Dir!!! – Ich mache Dir keine Vorwürfe, ich sage Dir blos mit Aufrichtigkeit, was Du wißen mußt. Sey also vernünftig, und erinnere mich auch daran, wenn ich es nicht bin. – –

Ich fühle wieder abscheuliche Kopfschmerzen, ich bin ganz weg heute Abend, und doch wenn ich stürbe, so weis ich mir die Ursache nicht anzugeben, warum ich so zerrüttet bin? – – Laß mich morgen ja nicht lange auf Dich warten, habe Mitleiden mit Deiner armen verstimmten

Nina.[47]

Quelle:
Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. ] 1788, S. 46-48.
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