XXVII. Brief

[54] Bald zehen Uhr, und zurük bin ich vom Spaziergang mit Schark. Der wakere Mann will mich dieser Tagen auf den hohen Kirchthurm führen, um mir die schöne Aussicht in die ruhige Ewigkeit zu zeigen! – Friz! – – Darf ich, wie eine gewiße Fanny, einen muthigen Sprung wagen? – Darf ich? – – Noch mehrere solche unglükliche Tage, wie der heutige, und ... Gott verzeih mir's, es wäre Zeit! – Weißt Du auch Lieber, daß ich Dich heute gar nicht mehr kannte? – Weißt Du auch, daß Du[54] heute Deinem Karakter widersprachst, und mich beinahe zu Boden drüktest! – – Ich will Dir keine Vorwürfe über Dein Betragen machen, es wäre Unsinn. –

Aber bitten will ich Dich, bald wieder mein guter, lieber, herrlich denkender Friz zu werden. Gott! – Was Du mir heute zum erstenmale fürchterlich vorkamst, was ich seit Deiner Bekanntschaft zum erstenmale den Augenblik verwünschte, wo ich Dir so ganz voll Zutrauen meine Schwachheiten zeigte; sag Liebchen, warum warst Du so wild, so widersprechend? – Dachte ich doch, Liebe könnte selbst den Wollüstling bändigen, und Dich, Sohn der Tugend, sollte Liebe nicht sanfter machen können? – – O warum bin ich auch so eine Elende, die vielleicht Deine Schonung nicht verdient! – Warum besizzest Du unbezähmbare Leidenschaften? – – Ich sehe mein Unglük zum voraus! – Ich werde Dich nach mehrern solchen Auftritten blos für sinnlich, und Du wirst mich für lieblos halten. Ha! – Die Männer sind doch gar zu ungerecht gegen ein liebendes Weib, die vor dem Augenblik der engsten Verbindung, ohne öffentliche Bande eben so schröklich zittert, als sie ihm mit stiller furchtsamer Zärtlichkeit ausweicht! – –

O Friz! – Was soll ich thun um Dich zu beruhigen und mir dabei den schröklichsten Gram zu ersparen? – Es ist wahr, ich bin eine Undankbare, ich bin eine Sträfliche, die Dich unwillkührlich reizt! – Aber um Gotteswillen kann ich dafür? – Kann ich meine Grundsäzze zu Dem bewegen, was Dich martert? Du bist von meiner Liebe überzeugt, aber sey auch gerecht, höre nicht blos auf die Stimme Deiner Triebe, laß Dein gutes Herz für ein Geschöpf sprechen, die Dich weder aus Eitelkeit, noch aus Eigennuz quälet. Sey gut, Friz, sey liebevoll, sey sanft, sey vorsichtig, bringe mich nicht zur äußersten[55] Schwachheit! – Sonst .... O Gott! – Ich werde es nicht können, sonst muß ich Dir kälter begegnen, dann hört jenes Vertrauen der Tugend, jenes brüderliche Wohlwollen unter uns auf, und zügellose Unruhen, nagende Begierden, schleichen sich an ihre Stelle, so bald wir in die Arme der Weichlichkeit sinken! –

Du hast mich heute Abend sehr viele Thränen gekostet! – – Ich machte mir selbst Vorwürfe, Dich je zur Liebe gereizt zu haben, es geschah wider meinen Willen, aber ich glaubte Dich mehr Mann, ich glaubte Dich blos feuriger, wünschender Gatte, der unsere nähere Vereinigung von der Zukunft erwarten würde, und izt schon bist Du unzufriedner, mürrischer Liebhaber. – Gott schikke Dir heute Linderung Deines Kampfes, und mir Thränen, mein Elend, meinen Jammer auszuseufzen! – –

Armer Junge, wie wirst Du erschrekken, wenn Du in diesem Brief die leibhaften Züge Deiner schwermüthigen Nina liesest! – Schlaf wohl, der Himmel schenke Dir Gnade, Du verdienst sie beßer als ich! – O gewiß! – O gewiß! – Denn ich bin ... O ich mags nicht sagen ... Vorwürfe nagen an meiner Seele! – Deine arme

Nina.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. ] 1788, S. 54-56.
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