LVI. Brief

[101] Theurer Friz! – So süß auch gestern unsre Versöhnung war, so hat sie doch den tiefen Gram, der mich seit einigen Tagen wieder so schröklich drükt, nicht ganz aus meiner[101] Seele getilgt! – Ich taugte wohl beßer in's Grab, als an Deine Seite, wo Dir das Bischen Vergnügen durch tausend Schiksale vergällt wird. – Kein Tag, keine Stunde geniessen wir ganz ruhig, mitten unter dummen und bösen Menschen verstreichen unsere schönsten Augenblikke, und mit ihnen unsere Gesundheit.

Ich bin außer mir, wenn es nicht bald zu Ende geht! – Ich kann diese Verfaßung, beim Allmächtigen sey's geschworen, nicht länger ertragen! – Und doch muß ich alle Stärke zusammen suchen, um den Ausgang abzuwarten? – – – O wenn Du mich liebst, so verschone mich diese Zeit über, versezze mir nicht den lezten schröklichsten Todesstoß, durch Dein Mißtrauen! – – Sey barmherzig, bei Deinem Ehrengefühl beschwöre ich Dich, sey barmherzig! – Sey mein Führer, mein Tröster, sey gut, sey gedultig, sey Mann, ich will Dir es tausendfach lohnen! – Die Wehmuth läßt mich heute nicht weiter schreiben.....

Nina die gekränkte.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. ] 1788, S. 101-102.
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