LXIV. Brief

[110] Rosenthal, den 19ten Oktober.


Theuerster, beßter Gatte! – – Untersuche den Kummer bei unserer Trennung in Deinem eignen Herzen, und Du wirst den Wiederhall des meinigen finden. – Sezze dann von meiner Seite noch weibliche Furcht, Zagheit und Schwäche meines Geschlechts hinzu, und mein Gram wird den Deinigen überwiegen. –

Nun bin ich entfernt von Dir, auf einmal entfernt von der Wärme eines Busens, an den ich mich jede Stunde des Tags vertraut anschmiegen konnte. – Noch ist mir alles Traum, noch bin ich zu wehmüthig um an die Möglichkeit dieser Trennung denken zu dürfen. –

Wir kamen in unserer Einsidelei glüklich an, die Leute empfiengen uns gut, und Röschen suchte mir den Kummer vom Herzen wegzuschäkkern, aber für diesmal ist es ihr nicht gelungen. – Gestern Abend konnte ich nichts thun, als staunen und weinen über eine Trennung, die mir schröklich schwer fallen wird. – Zanke mich nicht Friz, ich mußte weinen, wie ein Kind, und was ist denn auch meine Gesundheit gegen den süßen wollüstigen Leiden einer zärtlichen Sehnsucht? – Ich will ja gerne ruhig werden, aber gewiß nicht eher, als bis ich an Deiner Seite bin; ein Weib ohne Mann ist ein schwaches Pflänzchen, das jeder Sturm niederreißen kann? – Wie stehts um Deine Gesundheit? – Gott! – Du sahst so blaß aus, als Du mir den lezten naßen Kuß aufdrüktest![110] Halte Dich gesund, denn, wenn Du sinkst, so bin ich unwiederbringlich verloren! – –

Die Liebe mag Dich jezt zur Thätigkeit anfeuern, wenn es Dir nicht vor meinem Grabe schaudern soll, das ganz gewiß meiner wartet, wenn meine Lebhaftigkeit durch zu lange Trennung getäuscht würde! – – Bang ist mir schon ein Tag, aber unausstehlich eine Woche Entfernung von Dir! – Doch das Schiksal will es, und ich darf nicht dagegen murren. – – Auch darf ich Dich wohl an keine Pflichten erinnern, Du weißt, daß mein Loos das schröklichste wäre, wenn Dich je Menschenbosheit zur Veränderung stimmen könnte. Ich bin jezt so ganz Zutrauen in Dich, verkenne nicht den ehrlichen Mann, der mich rettete und jezt an mir so handeln wird, wie ich es von Deinen herrlichen Grundsäzzen erwartete. –

Einem weniger Edlen hätte ich mein Schiksal nicht anvertraut, und ich bin versichert, daß, wenn auch die Hölle sich öffnet, Du dennoch standhaft bleiben wirst. – Immer hieltest Du mich für zu schwach, um mich von der unwürdigen Base und Schark loszureißen; hast Du denn bei meiner heimlichen Abreise nur eine einzige Spure Schwachheit erblikt? – Menschheit war es, die sich in mir empörte, und sonst nichts. – Willig ließ ich mich von Deinem Arm leiten, und wenn Du mich auch zum Tode geführt hättest, gleich viel! – – –

Du kömmst also in einigen Tagen? – – Kömmst zu Deiner Nina, die einsam auf dem Lande sich blos mit dem Gedanken an Deine Liebe nährt, kömmst an den Busen Deines treuen

Weibes.[111]

Quelle:
Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. ] 1788, S. 110-112.
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