VII. Brief

[17] Nachts um zwölf Uhr.


Herzens-Junge! – Liebe gehört zu den anstekkenden Krankheiten! Sie greift um sich, aber ihr Kummer macht uns zur Beschäftigung thätig! Was das unter zwei Liebenden ein gegenseitiger, gränzenloser, guter Wille ist, wenn man jeden Wink benuzt, um sich einander Freude zu machen. Wie man geizig jede Gelegenheit ergreift, um mit seinem Liebchen zu plaudern; wie man keine einzige Minute im Tage vorbeistreichen läßt, ohne sie zum Vergnügen seines Geliebten zu nüzzen; wie da alles im Kopf arbeitet, wie das Herz voll gutem Willen hoch aufschlägt, wie die Einbildung sich zur Seligkeit spannt, oder der reizende Tiefsinn wollüstig an den kranken Nerven nagt! – Wie Kummer, Furcht, Freude, Verlangen, Angst, und noch mehrere solche Leidenschaften, angenehm traurig im Kopf herumkreuzen! Wie das gränzenlose Wünschen unersättlich ist! Wie man zusammen tändelt, lacht, sich herzt, küßt, und auch zuweilen ein Bischen zankt! – Wie die Stunden dahin eilen, an der Seite eines denkenden Mannes; wie Liebe von dieser Art so selten gefühlt und vergolten wird, – O das ist traurig für die Menschheit! Nicht wahr Friz! Ich denke mir immer, ich bin das einzige Mädchen auf Gottes Erdboden, die just, weil sie wahr liebt, so wenig verstanden wird. – Immer gerieth ich an Niederträchtige, an Dummköpfe, oder an Undankbare. Oft rißen sie mein Herz in Stükken, zerfleischten meine Gesundheit durch[17] Leichtsinn, oder gemeine Grundsäzze. Du bist noch der Einzige unter dem Himmel, der sich meinen Ideen nähert; der Einzige, bei dem mein Kopf Nahrung und mein Herz Zufriedenheit findet. – Du bist so ganz mein Wiederhall, sanft, ehrlich, gutherzig und edel. Sag mir lieber Sohn der Natur, sag, wer hat Dich so äusserst fein lieben gelehrt? – Schuf Dich der Himmel nur darum, um mich mit Deinem Nattergeschlecht zu versöhnen? – Glück zu Friz! Mein Zutrauen wächst! – Aber Mord wäre auch mein Loos wenn Du es ..... doch weg abscheulicher Verdacht! Komm Junge, dafür drükke ich Dich izt desto vester an meinen Busen! Nicht wahr, so viel Schwung meiner hizzigen Einbildungskraft hattest Du in jenem kalten Monate unserer bloßen Freundschaft nicht vermuthet? Ja, siehst Du, es kömmt nur darauf an, daß man seinen Mann findet. Es ist freilich toll von mir, so zu schwärmen; – aber ich trage doch keine lasterhafte Liebe im Herzen, und darum schäme ich mich ihrer auch nicht. – Es ist izt bald ein Uhr; mein Herz schlägt um vieles leichter, als gestern Nachts. – War ich nicht eine Närrinn, meine Gesundheit so gewaltthätig zu tödten? Aber wer kann denn auch dafür, wenn's im Busen so schröklich ängstet? – Ich bin Dir doch ein grämliches Ding, ein Ding, das blos mein Friz ertragen kann. Ich plage Dich ja täglich um Briefe, um Deinen Besuch; aber Du bist denn doch auch nicht viel beßer in diesem Stük, als ich. Siehst Du, wie es mir gerieth, in Dir ein neues Gefühl der Liebe aufzuwekken, weil ich Dich geizen lehrte nach der kleinsten Gefälligkeit von Deinem Liebchen. – Schark war heute Abend sehr mürrisch. Ich mußte alle Kräften zusammen suchen, um mich nicht durch Brausen zu verrathen. Mein Mädchen trat in's Zimmer, und hier glitschten seine wollüstigen Augen auf ihren Busen. Zu einer andern Zeit hätte ich beide über die Treppe hinuntergeworfen; aber izt that es mir blos weh,[18] und weiter nichts. – Bin ich nicht eine glükliche Prinzeßin? – Hab ich es nicht weit gebracht in der Welt, daß die Mannsleute blos an meiner Seele hangen? Ich bin aber auch ein recht gutes Geschöpf, versteht sich, wenn ich Dich an meiner Seite habe. Aber nun schlafe sanft, holder Lieber! Gott möge bei Dir wachen! Das wünscht von Herzen Deine rein liebende

Nina.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. ] 1788, S. 17-19.
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