LXXII. Brief

[144] Rosenthal, den 6ten December.


Liebster, beßter Gatte! – Sagt ich es Dir nicht, daß ich Dich sehen müßte? – O wie geschwind eilte ich bei diesem Anlaß, wobei mir Dein Bruder so tödtlichen Verdruß verursachte, in Deine Arme! – Das hättest Du doch wohl nicht geglaubt, daß ich nicht einmal des Boten Zurükkunft abwarten würde? – Daß ich es wagen würde, bis fast an Deine Stadtmauern zu fahren, um Trost von einem Gatten zu holen? – O ich hätte mich um die ganze Welt nicht von dieser kleinen Reise abhalten laßen! –

Indessen will ich Dich jezt bitten, mir in Zukunft nichts mehr von Deinem Bruder zu schreiben, wenn Du nicht Tollheiten erleben willst! – Vertheidige ihn und liebe ihn so viel Du willst, ich kann ihn nicht lieben, wenigstens läßt es meine stolze Seele nicht zu, die nicht leicht jemanden beleidigt, aber auch keine Beleidigungen ertragen kann. – Ein Beweis, daß ich von keinem Pöbel herstamme, der so gerne Niederträchtigkeiten duldet. – Deine guten Absichten mich durch seinen Karakter zu beruhigen, der im Grunde nicht bös seyn soll, ist Dir nicht gelungen. – Wer seinen Nebenmenschen nur bei einem Haare kränkt, ist schon kein Christ und würde mehr thun, wenn er Anlaß dazu bekäme. –

Am allerwenigsten kann ich begreifen, wie ein Mann, der die Ehre mit seiner Gattinn theilen muß, einen Verdacht, der die Güte meines Herzens streitig machen wollte, wie er einen solchen Verdacht, flegmatisch ertragen konnte? – – Um Gotteswillen, Friz, lobe ihn nur nicht wieder! – Er verfolgt eine ihm unbekannte Person aus Liebe für Dein Wohl? – – Was soll diese teuflische Moral? – – Kennt[144] er mich als eine Niederträchtige, dann lege er Dir Beweise vor; weis er aber nichts, als was ihm alte Weiber in's Ohr raunten, dann bleibt er ein Verläumder unter dem Dekmantel der Gutherzigkeit, ein höllischer Verläumder! – – Wer ein Geschöpf vom blosen Hörensagen zu Grunde richtet, der will es mit Vorsaz zu Grunde richten und bleibt in meinen Augen ärger als ein öffentlicher Feind. – –

Vergieb, Theurer, wenn Du mich ausschweifend wild findest, Du kennst die Stärke meiner Leidenschaften. Liebe und Furcht Dich zu verlieren ist an dieser Wildheit Schuld. – Rache machte bis jezt der Liebe noch immer Plaz, aber wenn Dein Bruder nicht aufhört mich eine Heuchlerinn zu nennen, dann wird mich Ehre und kummervolle Liebe zu einem Schritt verleiten, der Dich und Deinen argwöhnischen Bruder gewiß zu Boden schlagen wird!!! –

Friz, bei meiner gränzenlosen Liebe, bei dem namenlosen Entzükken, daß ich gestern wieder in Deinen Armen genoß, schone, o schone mich! – Lobe Deinen Bruder nicht wieder, bis ich ihn selbst lobenswerth finde. – Wirst Du mir folgen, Friz, wirst Du Dich überzeugen laßen, daß er mich durch seinen Verdacht schändlich kränkte? – O wenn Du mit mir fühlst, wenn Deine Liebe das einzige Gefühl ist, daß in Deiner Seele herrscht, so rede mir nichts mehr von ihm, rede mir nichts mehr von dem Allsanzen, der sich in Herzenssachen einmischt. – –

Dein Herz muß mir dieses Opfer bringen; brachte ich Dir nicht jedes Opfer zu Deiner Beruhigung? – Gott im Himmel, ich fürchte, ich fürchte Dein Bruder hat den Samen der Zwistigkeit zwischen uns ausgestreut! – Ich muß mir alle Gewalt anthun, um Dir wegen ihm keine Bitterkeiten zu sagen! – –

Gerechter Gott! – Soll der uns trennen können? – Doch was trennen! – – Ja er soll es, aber von meiner[145] Seite nicht anders, als durch den Tod! – Erfahre ich noch den mindesten Verdacht in meine Liebe, dann, heilige Mutter Gottes, bitte für meine arme Seele und für meinen armen Friz!!! – Meine Schwermuth, meine Lebhaftigkeit bürgen für nichts! – Ich muß so sprechen damit Du gegen mich vorsichtig handelst; wärst Du an meiner Seite, dann könnte mich Dein Bruder eines Schaffots würdig achten, es würde mich nicht beugen, meine rastlose Liebe würde Dich so lange in süße Wollust einwiegen, bis Du den elenden Lügner bei den Haaren zurükschleudertest, der Dein trautes Weib kränken konnte! – Aber ich bin von Dir entfernt, und der Gedanke, daß Du doch schwach seyn könntest, ist ein höllischer, undankbarer Gedanke, aber bei der Entfernung kann ich ihm doch nicht widerstehen! –

Es ist gebeugte Liebe, Krankheit und hizziger Kopf, die ich Deiner sanften Leitung anempfehle. – Friz, willst Du über mich wachen? – Willst Du? – Denke, ich habe ungeachtet den gestrigen Seligkeiten, die ich an Deinem Busen genoß, eine gräßliche Nacht gehabt! – – Nenne es nicht Ueberspannung, ich hin nicht selbst daran Schuld .... Das Wetter stürmte schröklich, und mich dünkt ich harmoniere so sehr mit den Elementen, daß ich meinem Gram nicht widerstehen konnte. – Gott! Sollen dies etwa Ahndungen seyn? – – Droht mir schon wieder Verfolgung, will man mich schon wieder mit Verdacht zu Boden drükken? – Was kann ich armer Wurm für mein Schiksal? – Was kann ich für den Neid, der wich aus der Menschheit rotten will? – Sey wenigstens Du barmherzig! – Wenn Dich Liebe nicht dazu treibt, so treibe Dich die Menschheit dazu, ein Weib zu vertheidigen, die auf ihre Ehre so empfindlich ist!!! – –

Großer Gott! – Warum schufst Du doch das Weib zur Mißhandlung für die ehrendiebischen Männer! – Warum schufst Du nur so wenige rechtschaffne Weiber, und warum[146] müßen gerade diese wenigen das Opfer eines lieblosen Verdachts werden? – – Ha! – Ueberzeugung! – An Dich richte ich meinen Fluch, wenn Du mir meine Ehre nicht wieder zurükgiebst, dann ist alles Lüge, alles auf dieser Welt!!!

Nina.

Quelle:
Marianne Ehrmann: Nina’s Briefe an ihren Geliebten, [o. O. ] 1788, S. 144-147.
Lizenz:
Kategorien: