2.

[171] (Als die Kaiserin von Rußland das Schloß Marienburg besuchte)


Will Lust die Tor' erschließen,

Da bleib ich draußen nicht,

Das Hohe zu begrüßen,

Das ist des Sängers Pflicht.


Das ist die alte Halle,

Hier sang ich manches Mal,

Die hohen Ritter alle

Rings um mich her im Saal.


Und von dem Heldenstreiten

Erklang manch kühnes Lied,

Das noch in nächt'gen Zeiten

Den stillen Bau durchzieht.


Doch farbenlos vergrauen

Ohn Blüte Fels und Au –

Es fehlt' der Schmuck der Frauen

Dem hochgewalt'gen Bau.


Die Stärke regt das Wilde,

Und nur, der Kraft gesellt,

Die königliche Milde

Bezwingt die starre Welt. –


Welch Glanz hat mich umflogen

Und füllt das ganze Haus,

Als pfeilerten die Bogen

Ins Himmelreich hinaus!


Und was der Stein will sagen,

Der Mensch in tiefster Brust,

In Klängen anzuschlagen,

Das ist des Sängers Lust:


O du – gleichbar der Hohen,

Die dieses Haus bewacht

Und Morgenrotes Lohen

Im Norden angefacht –[172]


Was Großes hier ersonnen,

All Segen, der hier weilt,

All Wohl, das hier begonnen,

Dir, hohe Frau, zum Heil!


Und so nun will ich neigen

Mich vor der Majestät –

Dann laßt mich gehn und schweigen,

Bis ihr Sie wiederseht.

Quelle:
Joseph von Eichendorff: Werke., Bd. 1, München 1970 ff., S. 171-173.
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