2.

[223] Schon wird es draußen licht auf Berg und Talen;

Aurora, stille Braut, ihr schönen Strahlen,

Die farb'gen Rauch aus Fluß und Wäldern saugen,

Euch grüßen neu die halbverschlafnen Augen.

Verrätrisch, sagt man, sei des Zimmers Schwüle,

Wo nachts ein Mädchen träumte vom Geliebten:

So komm herein, du rote, frische Kühle,

Fliegt in die blaue Luft, ihr schönen Träume![223]

Ein furchtsam Kind, im stillen Haus erzogen,

Konnt ich am Abendrot die Blicke weiden,

Tiefatmend in die laue Luft vor Freuden.

Er hat um diese Stille mich betrogen.

Mit stolzen Augen, fremden schönen Worten

Lockt er die Wünsche aus dem stillen Hafen,

Wo sie bei Sternenglanze selig schlafen,

Hinaus ins unbekannte Reich der Wogen;

Da kommen Winde buhlend angeflogen,

Die zarte Hand zwingt nicht die wilden Wellen,

Du mußt, wohin die vollen Segel schwellen.


Da zog er heimlich fort. – Seit jenem Morgen

Da hatt ich Not, hatt heimlich was zu sorgen.

Wenn nächtlich unten lag die stille Runde,

Einförmig Rauschen herkam von den Wäldern,

Pfeifend der Wind strich durch die öden Felder

Und hin und her in Dörfern bellten Hunde,

Ach! wenn kein glücklich Herz auf Erden wacht,

Begrüßten die verweinten Augen manche Nacht!


Wie oft, wenn wir im Garten ruhig waren,

Sagte mein Bruder mir vor vielen Jahren:

»Dem schönen Lenz gleicht recht die erste Liebe.

Wann draußen neu geschmückt die Frühlingsbühne,

Die Reiter blitzend unten ziehn durchs Grüne,

In blauer Luft die Lerchen lustig schwirren,

Läßt sie sich weit ins Land hinaus verführen,

Fragt nicht, wohin, und mag sich gern verirren,

Den Stimmen folgend, die sie wirrend führen.

Da wendet auf den Feldern sich der Wind,

Die Vögel hoch durch Nebel ziehn nach Haus;

Es wird so still, das schöne Fest ist aus.

Gar weit die Heimat liegt, das schöne Kind

Findt nicht nach Hause mehr, nicht weiter fort –

Hüt dich, such früh dir einen sichern Port!«

Quelle:
Joseph von Eichendorff: Werke., Bd. 1, München 1970 ff., S. 223-224.
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