XV.

[140] Was giebst du mir, wenn ich dir eine Entdeckung mache? – sagte der Doctor, als er zu seiner Frau zurückkam.

Lass hören! – Vielleicht eine Gegenentdeckung.

Der Bruder ist sterblich verliebt in die Lyk.

Die Lyk ist sterblich verliebt in den Bruder. –

Ist's möglich? – Und nun erfolgte von beiden Seiten eine Herzenserleichterung, die mit allen Holdseligkeiten ehelicher Vertraulichkeit gewürzt war. –

Sie ist krank, sagte die Doctorinn, herzlich krank; ich habe die Freundinn von ihr, die eben da war um dich zu ihr zu bitten, über alle Umstände befragt;[141] sie hat gestern Abend – und merke dir's wohl: weil eben der Bruder von ihr gegangen – –

Der Bruder? Da hat er Abschied genommen!

Natürlich! – Sie hat, sagt mir die gute Freundinn, gar nicht aufhören können zu weinen; die ganze Nacht hindurch hat sie kein Auge geschlossen; alle Munterkeit, alle Esslust ist bei ihr fort; – dazu hat sie Krämpfe – die schrecklichsten! –

Krämpfe? Hm!

Kurz: das arme Weib steckt in Liebe bis über die Ohren. – Und nun bitt' ich dich, Herzensmann: lass Essen und Alles seyn, und mach dass du hinkömmst, damit wir das Nähere erfahren!

Sie ist ohnehin nicht die stärkste, sagte der Doctor, der ein wenig ungläubig schien; – sie ist dem Bruder ungemein[142] viel Verbindlichkeit schuldig; – sie hat ein dankbares Herz –

Eben deswegen! Solche Herzen sind dir die brennbarsten; die fangen Feuer, wie Zunder. – Der Bruder ist ein ganz artiger Mann. –

Das wohl.

Und ich kenne dir eine, die Anfangs auch nur dankbar war, weil ein Gewisser – ein noch artigerer Mann – ihr von einem bösen Fieber geholfen hatte, und die nachher – –

Das verdiente einen Kuss, der gegeben ward, und der Doctor flog fort.

Er fand die Witwe freilich nicht wohl; aber so krank denn doch nicht, als die gute Freundinn, und dann weiter die Frau Doctorinn, es gemacht hatten. Sie gestand, nach einigem Kampf mit sich selbst, dass der Hauptgrund ihres Übelbefindens[143] in einer Unruhe des Herzens liege. Der Doctor horchte mit beiden Ohren: denn er glaubte schon den ausserordentlichen Fall vor sich zu haben, dass ein Frauenzimmer die Schwachheiten seines eigenen Herzens verplaudre; aber als das Geheimniss an den Tag kam, war es weiter nichts, als ihr Verhältniss mit dem gedachten Gläubiger. Der Doctor war Hausarzt dieses Mannes, und hatte ihm und seiner Familie grosse Dienste geleistet: die Witwe gründete hierauf die Hoffnung, dass ein von ihm eingelegtes gutes Wort ihr Nachsicht auf einige Wochen bewirken könnte; und sie beschwur ihn um dieses Wort, als um eine Freundschaft, die ihre Genesung mehr, als alle Arzeneimittel, befördern würde. Ihre Lage, sagte sie, sei die dringendste von der Welt, aber nichts weniger als verzweifelt:[144] sie sei im Stande, wenn man ihr Zeit lasse, alle ihre Schulden bis auf den letzten Heller zu tilgen; und sie berufe sich deswegen auf das Zeugniss seines Schwagers, des Herrn Stark – wenn er anders noch hier sei. –

Das Eigne in der Modulation der Stimme, womit sie diese letzten Worte aussprach, zusammengenommen mit einem kleinen übelverhehlten Seufzer, und mit dem Niedersinken ihres bis dahin aufgehobenen Blicks in den Busen, schien dem Doctor eine Indication zu geben, die er sich nicht dürfe entschlüpfen lassen.

Ich bin zu Ihrem Befehl, sagte er, liebe Freundinn; aber ich bitte Sie zu erwägen; dass die Summe die Sie mir angeben, von keinem Belang, und dass der Mann mit dem wir zu thun haben, von rauher, unfreundlicher Art ist. So wenig[145] ich zweifle, meinen Antrag bei ihm durchzusetzen; so könnte er doch leicht sich herausnehmen, bei dieser Gelegenheit Dinge zu sagen, die mir wehe thun würden. – Warum denn auch einen rauhen, beschwerlichen Umweg zum Ziele gehen, wenn ein gerader, gebahnter Weg offen da liegt?

Welcher? seufzte die Witwe.

Sie nannten vorhin einen Freund, dem jede Gelegenheit, Ihnen gefällig zu werden, das grösste Vergnügen erweckt. Ich bürge Ihnen für seine Gesinnungen gegen Sie.

Dieser Freund – –

Gönnen Sie ihm doch das Glück, Madam, Ihnen dienen zu können!

Das Glück? – Aber wenn's denn ein Glück ist; so gestehn Sie: er hat es nur zu reichlich genossen. – Ich erliege unter[146] der Last meiner Verbindlichkeiten. Ich kann sie ewig nicht tilgen. – Und will er jetzt nicht fort, dieser Freund? Will er uns nicht verlassen? Wird er des Geldes genug nur zu eigener Einrichtung haben? – Ihre Stimme schwankte, und sie schien in ausserordentlicher Bewegung.

Es mangelt ihm nicht, Madam; ganz gewiss nicht! – Geben Sie ihm die Freude mit auf den Weg, Ihre Wohlfahrt gesichert zu haben! Lassen Sie mich hin, ihm es vorzutragen! Es ist in wenig Augenblicken geschehen. – Er stand auf, und machte Miene sich zu entfernen.

Nein! Nein! – war Alles, was die Witwe hervor bringen konnte. Sie hatte die Hand des Doctors, um ihn zurückzuhalten, mit einer ihr ungewöhnlichen Hitze ergriffen. Er fühlte das Brennen und Zittern der ihrigen, und bat sie, ihrer[147] schwachen Gesundheit zu schonen. – Ich rede dann, weil Sie's so wollen, mit Ihrem Gläubiger, und ich halte die Sache mit ihm für so gut als berichtigt. Werden Sie ruhiger, liebe Freundinn! – –

Der Doctor hatte an diesem Wenigen schon genug, um bei seiner Zuhausekunft seiner Frau zu sagen, dass sie wohl schwerlich geirrt haben mögte. – Aber, setzte er hinzu, wie in aller Welt soll das werden? Wo soll das hinaus?

Du fragst? – Wenn sie wirklich so liebenswürdig und sanft und gut ist, wie du sie mir immer gerühmt hast – –

Das ist sie wahrlich! wahrlich!

Nun so lässt man den dritten Mann kommen, den Priester. Der weiss Mittel für solche Übel.

Mir wär's recht; in der That! Ich nennte die gute Frau mit Vergnügen[148] Schwester. – Aber ich gestehe dir: dass ich zittre, wenn ich an deinen Vater denke.

O, der wunderliche, alte – liebe, böse Mann der, der Vater! – Ich bin so erbittert auf ihn; ich mögt' ihn gleich – – ja, was mögt' ich, ich Närrinn? – – Aber je lieber ich ihn habe, desto abscheulicher war's, mich so herumzuführen, so zum Besten zu haben. – Ich vergess' ihm das nicht; nimmermehr! Ich spiel' ihm irgend einen Gegenstreich, und einen recht argen. – Wart! Eben mit der Lyk muss ich ihm einen spielen. – Wie? Soll denn darum, weil er sich gegen die arme Frau eine wunderliche Grille in den Kopf gesetzt hat – –

Und eine falsche. Denn nicht sie hatte Hang zur Verschwendung, sondern der Mann.[149]

Nun ja! – Und soll denn darum die arme Frau ein so schönes Glück nicht machen, das sich ihr anbeut? Soll darum der Bruder eine Leidenschaft aufgeben müssen, die den schönsten, edelsten Grund von der Welt hat? – Da sitzt er nun in seinem Käfig, der arme Narre! und hängt das Köpfchen. – – Hahahaha! Es ist doch ein närrisches Ding um's Verliebtseyn. – Aber Geduld nur! Geduld! Er soll mir heraus, und soll mir ins Ehebette zur Lyk, oder ich will nicht das Leben haben.

Du unternimmst da viel, sagte der Doctor. Wie willst du deinen Vater gewinnen? – Was Zureden bei ihm vermag, hast du erfahren; und dass du mit List ihn fangen solltest? – ich fürchte, er geht dir in keine Falle.

Gesteh nur: es ist doch ein kluger,[150] ein ausserordentlich kluger Mann, mein Vater.

Der klügste, den ich in meinem Leben gekannt habe.

Sieh in mir seine Tochter! – – Sie setzte ihren Zeigefinger auf die Brust, und streckte ihre kleine Figur in die Höhe.

Ah! – sagte der Doctor, der sich verbeugte, und über ihr komisches Pathos von Herzen lachte: alle Verehrung, Madam! Aber darf man denn dieses oder jenes von Ihrem Plane voraus wissen?

Sobald er da seyn wird: ja! – Weisst du indessen, was vor allen Dingen zu thun ist, und was von Niemanden so gut gethan werden kann, als von dir? – Bring dem Vater bessere Begriffe bei von dem Bruder! Erzähl' ihm sein Betragen gegen den seligen Lyk! Ich bin versichert, das wird ihm gefallen, recht sehr gefallen. –[151] Auch das erzähl' ihm, wie edelmüthig er sein Versprechen erfüllt, und wie treu er, ganze Monate lang, für die Witwe gearbeitet hat. Solche Züge, weiss ich, freuen den alten Mann in die Seele, und ein wildfremder Mensch, von dem er so etwas hört, wird auf der Stelle sein Blutsfreund. – Gewiss, er hätte das schon früher erfahren sollen.

Und würd' auch, so wie Ihr alle, wenn ich nicht dem Bruder hätte mein Wort geben müssen, zu schweigen. – Jetzt, sobald ich Gelegenheit dazu finde – –

Willst du thun, was dein braves Weib dir aufgiebt. Nicht wahr?

Schuldigermassen.

Schön! – Und ich will Bekanntschaft mit unsrer Witwe machen; ehester Tage! Ich hab' es mit der Freundinn von ihr schon eingeleitet. Ich bin ganz[152] neugierig auf sie. – Da sind auch die beiden Kleinen von ihr, die hier täglich vorbei in die Schule müssen: ein paar Engel von Kindern! Morgen ruf' ich sie mir herein, und da will ich sie herzen und lieb haben, als ob's meine eigenen wären.

Quelle:
Johann Jakob Engel: Schriften. Band 12, Berlin 1806, S. 140-153.
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