XX.

[201] Es war um Theezeit; und die Doctorinn, die sich den Mund ganz trocken gesprochen, aber bei der Witwe den Thee verbeten hatte, kam auf den Einfall, ihn bei der Mutter zu trinken. Sie fand hier zugleich den Vater, der dann und wann bei der Alten ein Schälchen nahm; und zufälliger Weise auch Monsieur Burg, den Madam Stark so eben wegen eines Gerüchtes ausfragte, das ihr zu Ohren gekommen war. Es hiess: ein ziemlich bemittelter Oheim von Burg, den dieser zu beerben gehofft hatte, sei noch in seinen alten Tagen schlüssig geworden, sich zu verheiraten. – Ist das wahr? fragte die Alte.

Leider wahr! sagte Monsieur Burg.[202]

Aber wie in aller Welt kömmt er auf den Gedanken? Ich hätt' ihn für vernünftiger angesehen.

Wie? sagte der Alte, den die Lust, sie ein wenig zu necken, ankam. Ist Heiraten Unvernunft, Mutter?

Behüte! Es wäre Lästerung, das zu sagen. Ehe ist ja eine Einsetzung von Gott.

Das mein' ich! Und eben deswegen, Mutter – weil der alte Oheim, nach langer Verblendung, das endlich einsieht; so bereut er sein bisher geführtes sündliches Hagestolzenleben, und kriecht zu Kreuze.

Jaja! rief hier Monsieur Burg, dem der wahrscheinliche Verlust der Erbschaft schwer auf dem Herzen lag –: Kreuz soll er schon finden, denk' ich, das soll er finden!

Lieber Monsieur Burg! sagte die Alte,[203] und nahm einen andächtigen Ton an: auf Erden hat wohl jeder sein Kreuz; und was der Himmel dem Oheim auferlegt, muss er tragen, und muss darüber nicht murren. Das ist Pflicht eines Christen.

Die Doctorinn hatte Noth, nicht zu lachen. – Aber, sagte der Alte, du hörst ja, dass er der Trübsal willig entgegengeht, und dass er sich ganz demüthig in die Schule der Geduld begiebt. Was verlangst du denn mehr? – – Alberne Menschen übrigens sind diese Hagestolzen: das ist gewiss. In der Jugend, hüten sie sich sorgfältig vor einer Thorheit; und im Alter, begehn sie dafür eine Narrheit.

Ei, ei! rief die Doctorinn aus. Lieber Vater!

Was ist? –

Sie waren ja sonst ein so grosser Freund, ein so eifriger Vertheidiger des Ehestandes.

[204] War ich? – Nun, so will ich's auch bleiben, und will die Thorheit geschwind zurücknehmen. Doch die Narrheit, Kind, musst du mir lassen.

Drollicht! – Aber ich bin's zufrieden. Es gilt. –

Und ist's denn wahr, fuhr die Alte zu untersuchen fort, dass die Person, in welche sich der Oheim verliebt hat – –

Verliebt, Mutter? Hat er sich denn wirklich verliebt? – Ich dachte, er heiratete bloss aus Zerknirschung.

Wenigstens, sagte Monsieur Burg, kann die Zerknirschung noch kommen. Das Weib soll hässlich seyn, wie die Nacht. – Und Kinder bringt sie ihm obendrein in das Haus. Ganzer zwei.

Wirklich? – Nun, das war's, sagte die Alte, was ich im Sinne hatte, und wornach ich vorhin Ihn fragen wollte. – Also[205] eine Witwe nimmt er zur Frau? und eine Mutter von Kindern? Hm! –

Von zwei lebendigen Kindern.

Hmhm! –

Scheint dir das sonderbar, Mutter? Mir nicht. Mir scheint es das Vernünftigste bei der Sache. – Wenn Kinder da sind, so wird denn doch der Alte mit Ehren Vater. – Eine Witwe zu heiraten, ist immer die beste Art, zu fremden Kindern Vater zu werden.

Und was giebt's denn für eine andre? fragte die Alte ganz ehrbar. – Ach ja! – indem die Tochter, die sich nicht länger halten konnte, von Herzen zu lachen anfing, und der Vater mit einstimmte. – Das treuherzige Ach ja! war nicht gemacht, dieses Lachen zu dämpfen; und die Mutter, so sehr sie sich Anfangs dagegen sträubte, lachte am Ende mit. –[206] Herr Stark, wie man sieht, war in seiner Feiertagslaune; aber sicher hätt' er ihr nicht den Zügel schiessen lassen, und hätte sich kein's seiner Spässchen erlaubt, wenn nicht Herr Wraker, der alte Oheim von Burg, ein bekannter Ausschweifling gewesen wäre, der die Hochachtung von keinem Menschen, und also auch nicht von dem Neffen, hatte. – Indessen, als in der Folge des Gesprächs sich der gekränkte Eigennutz des jungen Mannes immer stärker verrieth, und er sich endlich zu bittre, zu unanständige Glossen erlaubte, wies ihn Herr Stark, zwar liebreich, doch alles Ernstes, zurechte. – Er berührte zuerst den Hauptpunct der wahrscheinlich verlornen Erbschaft, und erklärte diesen Verlust für nichts weniger als ein Unglück: denn, meinte er, Monsieur Burg sei ja Manns genug, um durch[207] eigene Kräfte sein Glück zu machen; und so ein Glück habe immer mehr Werth, als ein anderes, das durch Erben oder durch Heiraten erlangt werde. – Wenn man, sagte er, die hiesigen grossen Häuser der Reihe nach durchgeht; so findet man, dass sie alle entweder vom lebenden Stifter selbst, oder höchstens vom Vater her sind: die vom Grossvater her sind schon alle wieder im Abnehmen, im Sinken. Selbst ist der Mann! sagt ein Sprichwort, das für alle Stände, und besonders auch für den unsrigen, wahr ist. – Dann kam Herr Stark auf die Liebesgeschichte des Herrn Wraker, und fand auch an ihr eine Seite, von der sie ihm gar nicht mehr so thöricht und lächerlich vorkam. – Der Bräutigam, sagte er, ist freilich ein altes morsches Geripp von Manne, das eher für den Sarg als für's Ehebett[208] taugt, und die Braut eine ziemlich missgeschaffne, klapperdürre Schöne, deren hervorstehender Zahn und blinzelndes Auge nicht den besten Hausfrieden verspricht; aber, Monsieur Burg! seh' Er einmal – ich bitt' Ihn – von diesen Hauptpersonen ein wenig ab auf die Nebenpersonen, die kleinen hülflosen Kinder! Wie, wenn die Mutter bei sich selbst überlegt hätte, dass sie nur herzlich arm, und dass Armuth eine rauhe Witterung ist, worin solche zarte junge Pflänzchen leicht ersterben oder verkrüppeln? wenn sie die ihrigen an die sanftere mildere Luft der Wohlhabenheit hätte bringen wollen, um ihnen ein froheres Wachsthum, ein schnelleres Gedeihen, zu sichern? Dann wäre, von ihrer Seite, die Heirat schon nichts so gar Thörichtes mehr, eher etwas sehr Mütterliches und[209] Kluges. – Und von Seiten des alten Wraker? Wie, wenn auch der sich durch Gründe hätte bestimmen lassen, die weit mehr unsre Billigung, als unsern Tadel, verdienten? wenn er, nach einem Leben voll Ausschweifungen, noch zu guter letzt etwas Verdienstliches hätte thun, und das Glück von ein paar unschuldigen Wesen hätte gründen wollen, die es vielleicht erkennen und sein Andenken in Ehren halten? – Freilich kränkt er darüber den guten Neffen, der sonst sein nächster Erbe gewesen wäre; aber – mag er gedacht haben – ein Mann wie der, der so reiche Hülfsquellen in sich selbst hat, und der zu so einem Verluste nur lacht – –

O, das thu' ich auch; das thu' ich recht von Herzen! sagte Monsieur Burg, indem er mit grinsender Miene, die ein[210] verachtendes Lachen ausdrücken sollte, sein Oberschälchen umwandte, und sich empfahl. –

Die Tochter ergriff die Hand des Vaters, um sie zu küssen. – Das thu' ich im Namen der Kleinen, sagte sie: für die Sie Sich so nachdrücklich erklärt haben. – Ach, was solche arme kleine Waisen mich jammern! – So oft mir dergleichen vorkommen, mögt' ich gleich einen recht wackern jungen Mann zur Hand haben, den ich ihnen wieder zum Vater gäbe. –

Und der Witwe zum Manne; nicht wahr? Denn warum er sonst eben jung seyn sollte – –

Wie? Das sehen Sie nicht? – Damit er mir nicht zu früh wieder wegstürbe; und ich dann neue Noth mit den Kindern hätte.

Sieh, sieh! sagte der Alte. Kömmt's so herum? Fein genug![211]

Aber Sie wollen vielleicht, dass Witwen nur lauter schwache, gebrechliche Männer heiraten sollen; Krückenstösser, wie den Wraker, die zu nichts weiter taugen, als fremder Leute Kindern Brot zu verschaffen? – Die armen Witwen! –

Ei nicht doch! nicht doch! Wenn sie nur selbst noch nicht alt sind – – denn das gesteh ich dir: eine Heirat zwischen einem jungen Manne und einem alten Weibe ist mir zuwider. –

Das ist sie wohl jedem. – Nein; meine Witwen sind so im Anfang der zwanzig, sind überdies noch brav, gefällig, haushälterisch, fromm – –

Aber hässlich; nicht wahr?

Behüte Gott! Eher schön.

Nun, was fragst du denn lange? – Gieb sie, an wen du willst, an die jüngsten und die wackersten Männer! Ich bin es herzlich zufrieden. –[212] Brav, Väterchen! Herrlich, Väterchen! dachte die Tochter; wir wollen dir dieses Wort zu seiner Zeit wieder vorhalten. Es geht dich näher an, als du wohl denkst. – Und nun machte sie sich auf leichten Füssen davon, um nach Art braver Eheweiber, die für den Mann ihres Herzens keine Geheimnisse haben, dem ihrigen alles Vorgefallene zu berichten.

Quelle:
Johann Jakob Engel: Schriften. Band 12, Berlin 1806, S. 201-213.
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