XXII.

[231] Bald nach dem Mittagessen erschien der Doctor: theils, um sich nach der Gesundheit, theils – oder wohl eigentlich und hauptsächlich – um sich nach der Gesinnung des alten Herrn zu erkundigen. Er fragte fast in einem Athem: Wie befinden Sie Sich? und: Wie gefiel Ihnen die Witwe?

Auf das Erste, lautete die Antwort: Wohl! und auf das Zweite: Nicht übel!

Sie werden gefunden haben, dass es eine sehr feine Frau ist. Nicht wahr?

Fein? Je nun ja! Wie Sie wollen. Figur und Gesichtchen sind ganz erträglich. – Es lässt sich schon denken, wie so eine Frau einen schwachen, thörichten Mann hat so weit bringen können,[232] sich um ihretwillen zu Grunde zu richten. –

Der Doctor, der sich einer günstigern Antwort versehen hatte, war ein wenig betreten. Indessen hielt er es nicht für gut, in gerader Richtung über den Strom zu schwimmen. – Sie ist zugleich von sehr sanfter Art; meinen Sie nicht?

Sie scheint es. Die Weiberchen scheinen Manches, Herr Sohn.

Aber sind doch Manches auch wirklich?

Wie man das nimmt. – Was sie jedesmal sind, sind sie wirklich. Heute dies, morgen das.

Mein Gott! Sie sind doch auch sehr gegen die Weiber.

Für sie, für sie, Herr Sohn! – Ich schätze, an dem lieben Geschlechte nicht bloss die Tugenden, sondern auch die[233] Schwachheiten; aber wohl gemerkt! diese mit jenen verbunden. Die Welt- und die Modeweiber, die nur die Schwachheiten, aber nicht die Tugenden, und eben darum jene im höchsten Grade haben; die, Herr Sohn – wie Sie schon längst gemerkt haben können – sind mir zuwider.

Und zu diesen, glauben Sie, gehöre die Lyk?

Ob noch jetzt? kann ich nicht sagen.

Ich bin Arzt in dem Hause. –

Da wissen Sie Bescheid um ihre Gesundheit.

Ja. Aber auch wahrlich um ihre Denkungsart, ihre Sitten, ihren Charakter. – Ein Arzt hat manchen geheimen, vertraulichen Augenblick mit den Weibern.

So? – Und das sagen Sie mir so frei ins Gesicht?[234]

Warum nicht? –

Mir, dem Vater von Ihrer Frau? – Wenn ich nun der es wieder sage?

Gerne! gerne! In Gottes Namen!

Der muntre, freudige Ton des Doctors rührte den Alten, und er ergriff seine Hand. – Lieber, guter Doctor, sagte er, Sie und meine Tochter machen zusammen ein braves, ein herrliches Paar. – Gott erhalte euch so! Ich habe ja ausser euch keine Freude. – Er hatte grosse Lust auf den Sohn zu kommen, dessen noch fortdaurendes Flussfieber ihm sehr zu missfallen anfing; allein der Doctor liess ihn nicht los von der Witwe.

Nehmen Sie einmal an, sagte er, dass die Frau wirklich ist, was sie scheint: sanft, liebreich, nachgebend, gefällig; – wäre da der unsinnige Aufwand im Lykischen Hause nicht auch ohne sie zu erklären?[235] Liesse sich's nicht denken, dass eine so geartete Frau ihre eigene Neigung dem eitlen, auf lauter Pracht und Vergnügen erpichten Manne hätte aufopfern können; dass sie sich bloss durch ihn, ohne den mindesten innern Trieb, von einer Gesellschaft zur andern, einem Balle zum andern, hätte fortreissen lassen?

Die Wirthschaft aber ging nach der Heirat erst an. –

Natürlich! Denn da wird das Haus erst ein Haus. Die Frau erst macht es dazu.

Und der ganze Aufzug – der Staat – die glänzende Equipage – das Alles scheint mir mehr auf weibliche, als auf männliche Neigung zu deuten –

Kam aber doch lediglich von dem Manne.[236]

Hm! – Zwar sind manche Männer Weiber, und ärger als Weiber. –

Das mein' ich! Und dann, liebster Vater: was hätte die Tochter eines armen Landpredigers – denn das ist die Lyk – was hätte ein Mädchen, das weder Vermögen noch Aussteuer in's Haus brachte, für grosse Ansprüche machen können?

Ungeheure! Das verstehn Sie nur nicht. – Die Waare der eitlen Weiber hat keinen bestimmten Preis, aber in ihren eigenen Augen einen unermesslichen Werth. Wenn für so ein Figürchen oder ein Lärvchen – und oft für noch weniger, für ein bischen Geschwätz oder Geziere – ein Baron seine Baronie, oder ein Graf seine Grafschaft vertändelt; so haben sie dabei noch immer verloren, sich noch immer zu wohlfeil weggegeben:[237] denn mit eben diesen – Herrlichkeiten oder Armseligkeiten – hätten sie ja ein ganzes grosses Fürstenthum unter kaiserlichen Sequester bringen können.

Wir reden hier aber von keiner Buhlerinn, sondern von einer Frau –

Alle Achtung!

Und deren Glück oder Unglück, Ehre oder Schande, hängt ja so innig mit Glück oder Unglück, Ehre oder Schande des Mannes zusammen.

Wird denn das überlegt? –

Hier wahrlich, hier ward es sehr überlegt. – Dass sich Anfangs das junge, unerfahrne, in der Welt noch ganz neue Landmädchen in den Strom von Vergnügen kopfüber hineinstürzte, und nur an den jetzigen süssen Genuss, nicht an die künftigen herben Folgen dachte: das hoff' ich, wird ein Menschenkenner,[238] wie Sie, eben so leicht verzeihn, als begreifen. –

Aber das Ding währte fort – immer fort – ohne Ende.

Bloss durch Schuld des Mannes, mein lieber Vater. – Die Frau ward schwanger und kränklich, und ich war nun fast täglich im Hause. Wie oft bezeugte sie mir ihre Sättigung, ihren Überdruss, ihren Ekel! Wie herzlich wünschte sie sich das geräuschlose, häusliche, thätige Leben zurück, woran sie von jeher gewöhnt war! Aber dazu ihren Mann zu bereden, war keine Hoffnung; denn gleich ihr erster Versuch, ihn umzustimmen, erregte seinen heftigsten Zorn. Sie liebte den Mann; sie war schwach; sie war der Armuth wegen, worin sie zu ihm gekommen war, scheu und blöde: Er dagegen – war stolz, gebieterisch, auffahrend, gegen[239] die Liebkosungen und die Thränen der Frau wenig empfindlich. Ich sah das nur zu sehr, als er von ihrer Mutterliebe das Opfer forderte, den künftigen Säugling nicht mit eigener Brust zu ernähren.

Und auch das liess sie gut seyn? gab nach?

Was sollte sie machen? –

Der Alte schüttelte missbilligend mit dem Kopfe.

Die Wirthschaft ging indess ihren Gang immer fort, immer dem Abgrunde zu; und es musste doch wahrlich grosses Vermögen da seyn, dass der Mann seine Verschwendung ganze Jahre lang durchsetzen konnte.

Das war auch; das war! rief der Alte. Ungemeines Vermögen!

Indess ward die Frau durch manche[240] Beispiele gewarnt; sie ahnte traurige Folgen: allein da das Gesicht des Mannes heiter blieb, so verschloss sie, mit ihrer gewohnten Furchtsamkeit, alle Besorgnisse in ihr Herz. – Endlich, als wirkliche Verlegenheiten eintraten, denen nur der äusserst vorteilhafte Verkauf des Gartens ein Ende machte, wirkte sie, durch die nachdrücklichsten, zärtlichsten, wehmüthigsten Vorstellungen, wenigstens einige kleine Einschränkungen aus, und für die Zukunft Versprechungen, die aber nur zu bald wieder vergessen wurden. Wäre nicht noch zu rechter Zeit der Tod in's Mittel getreten; so hätte sie wahrscheinlich den vollen Bruch des Hauses, und tiefe, bittre Armuth erlebt.

Nur wahrscheinlich? Sagen Sie: gewiss und unfehlbar! – Aber, dass die Schuld so ganz nur des Mannes gewesen wäre,[241] nicht ihre eigne – – ich gestehe Ihnen, Herr Sohn, das will mir gar nicht recht in den Kopf. Ich habe Nachrichten, die anders lauten, ganz anders.

Von wem? – Ich bitte Sie, lieber Vater –

Von – –

Von dem Wolf in der Fabel, hätte er sagen können; denn eben, als schon der Name ihm auf den Lippen schwebte – –

Quelle:
Johann Jakob Engel: Schriften. Band 12, Berlin 1806, S. 231-242.
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