XXV.

[262] Obgleich wirklich Herr Stark mehr durch sein eigenes Vorurtheil, als durch den armen Tropf von Pathen hintergangen war: so war doch der blosse Schein von dem letztern ihm ärgerlich; und noch ärgerlicher, dass er bei dieser Gelegenheit die Fassung verloren, und dadurch jenen Schein bestätiget hatte. Er fühlte recht gut, dass er die Sache nach seiner gewöhnlichen Art, mit lachendem Munde, hätte abmachen können. Indessen gereichte dieser Fehler, wenn es ja einer war, ihm zur Ehre: denn der Grund davon lag weit weniger in seiner gekränkten Eigenliebe, als in der Rechtschaffenheit seines Herzens, das ihm alle gegen die Witwe begangenen Ungerechtigkeiten[263] auf einmal bitter vorwarf, und ihm denjenigen der dazu mitgewirkt hatte, in einem nicht mehr lächerlichen, sondern gehässigen Lichte zeigte.

Die Tochter, die theils durch Madam Lyk, theils durch ihren Mann, von allem Vorgefallenen genau unterrichtet war, glaubte die Herzensstimmung worin sie den Alten vermuthete, zu ihrem Zweck benutzen zu müssen. Sie machte ihm einen nur ganz kurzen, flüchtigen Besuch, bei dem sie sich nicht einmal setzte, aber gleichwohl mit sichrer Hand alle die Saiten anschlug, die sie in dem Herzen des Vaters als die empfindlichsten kannte. Den Vorwand zu diesem Besuche musste die Bitte geben, die der Alte des Morgens beim Abfahren des Wagens an sie gethan hatte, ihm von dem Befinden der Witwe Nachricht zu bringen.[264]

Entschuldigen Sie mich, sagte sie, lieber Vater, dass ich Ihren Befehl erst so spät erfülle. Aber am Vormittage machten es mir Geschäfte, die ich nicht aufschieben konnte, unmöglich; auch hielt ich mich da bei der Witwe nicht lange auf: diesen Nachmittag habe ich mich etwas länger verweilt, und komme so eben – aber ich muss sagen, mit recht schwerem recht bekümmertem Herzen – von ihr.

Wie so? fragte der Alte nicht ohne Theilnahme. Hat der Zufall sich wiedergefunden?

Das nicht. Sie leidet nicht sowohl am Körper, als am Gemüthe. – Das arme Weib fürchtet zu Grunde gerichtet zu werden, weil ein gewisser Horn, der ihr Gläubiger ist, entweder bezahlt seyn, oder gegen sie losbrechen will.

Horn? – Wenn sie mit dem zu thun hat – –[265] Leider!

Da beklag' ich das gute Weib. Nachsicht ist bei dem nicht zu hoffen. – Aber ist denn die Lyk noch immer in Verlegenheit, in Verwirrung? Ich glaubte, dein Bruder hätte Alles in Ordnung gebracht.

Das glaubt' ich auch; aber – er mag Termine gesetzt haben, die nun nicht ganz können gehalten werden.

Das sollte mir leid um ihn thun.

Oder er mag – – Ja, wenn ich Handlungskenntnisse hätte; da riethe ich weiter, mein lieber Vater.

Lass gut seyn! Es ist da Mehreres möglich. –

So viel weiss ich denn jetzt, warum die Witwe diesen Morgen bei Ihnen gewesen ist.

Nun? –

Eben dieser Verlegenheit wegen mit [266] Horn. – Den Bruder zu sich bitten zu lassen, ging seiner Unpässlichkeit wegen nicht an; ihn zu besuchen, da er noch ledig ist, schien gegen den Anstand zu seyn: und doch war die Sache dringend, und die Witwe – ich wiederhole ihre eigenen Worte – die Witwe fühlte durch das edle Benehmen des Bruders, wovon sie nie anders als mit inniger Rührung spricht, ihr ganzes Vertrauen an den Namen Stark wie gefesselt. Sie wollte also diesmal bei dem Vater suchen, was die Umstände von dem Sohne zu fordern nicht zuliessen: Rath, Hülfe, Vermittelung, Unterstützung.

Und hat geschwiegen? Weswegen?

Sie hat gesprochen, wie sie mir sagt.

Nein! –

Sie hat wohl sicher gesprochen; aber – –[267] Nein! – wiederholte der Alte mit einem Nachdruck, der seine noch fortdaurende ärgerliche Stimmung verrieth.

Ich denke, mein, guter, lieber Vater hat sie nur nicht gehört, nicht verstanden.

Dann hat sie auch nicht gesprochen, sondern gemurmelt. Die verwünschte Gewohnheit des Murmelns wird von Tage au Tage ärger. In meiner Jugend sprach man zum Maule heraus. – Am Ende, wahrhaftig! fordern die Menschen noch, man soll ihre Gedanken hören.

Sie ist furchtsam, das arme Weib. Verzeihen Sie ihr! Sie Selbst haben sie dann noch furchtsamer gemacht.

Ich? – Weisst du, was du da sprichst? – Ich mache niemand furchtsam, der etwas zu bitten hat, sondern ich muntre ihn auf und höre ihn an; und wenn sich's ohne meinen eignen zu grossen Nachtheil[268] thun lässt, helf' ich ihm ohne Umstände und gerne. Die elende, nichtswürdige Kunst, durch Achselzucken und Sauersehen und langes Bedenken seinen Gefälligkeiten Werth zu geben, hab' ich niemal verstanden. – Das hätte die Frau Tochter wissen und der Witwe schon sagen können.

Hab' ichs denn nicht? – Werden Sie doch nicht unwillig, mein lieber Vater!

Unwillig! Nun werd' ich gar unwillig! – Wie kömmst du mir heute vor?

Ach, ich kann wohl Unrecht haben; ich glaub' es selbst. – Hätt' ich mich recht bedacht, so wär' ich lieber gar nicht gekommen. Ich bin so missmüthig gestimmt.

Über die Witwe? –

Ja. – Und dann – wie die kleinsten Umstände das Herz oft am meisten rühren –[269] Nun? –

Ich sah, eh' ich in das Wohnzimmer der Lyk trat, ein paar Augenblicke durch das Spiegelglas in der Thüre. – Da sass die gute Frau, in die eine Ecke des Sopha gedrückt, den Arm auf ein Kissen gestützt, und ein Tuch in der Hand, um sich die Thränen zu trocknen. Ihr zur Seite sassen, jedes auf seinem Schemelchen, die zwei unschuldigen Kleinen, die sonst immer so froh um sie herumschwärmten, aber jetzt, wie es schien, an das Spiel gar nicht dachten: sie sahen so still in den Schooss nieder, als ob sie den Herzenskummer der guten Mutter theilten; und blickten dann endlich, weil diese vielleicht eben einen tiefen Seufzer ausstieß, von der Seite zu ihr hinauf, mit einem Ausdruck in ihren Augen! in ihren grossen, blauen, himmelreinen Augen! mit[270] einer Bänglichkeit, einer Zärtlichkeit, einem Ernst! – ich dachte an meine eigenen Kleinen, und dachte an Sie. Wenn Sie das gesehen hätten, mein lieber Vater! – Sie riss das Tuch heraus, und fuhr sich damit an die Augen.

Sind's denn so artige Kinder? – fragte der Alte mit einem Tone, der auf einmal wieder ganz weich war.

Ach so wohlgezogen und artig! – Freilich hat die Frau nur diese beiden zu übersehen, und ich ihrer mehrere: aber dennoch erkenn' ich sie in der Kunst der Erziehung für meine Meisterinn; sie regiert die Kleinen mit Einem Blicke, mit Einem Winke, und das niemal im Bösen, immer in Liebe. – Doch ich stehe und plaudre, und vergesse, dass meine Kleinen zu Nacht essen wollen. – Ich muss fort, lieber Vater. Leben Sie wohl! Verzeihen[271] Sie, wenn ich mit meiner üblen Laune Sie heute angesteckt habe! Es soll nicht wieder geschehen. – Sie küsste seine Hand, und verschwand. – –

Das Herz des Alten war ein an sich so guter und jetzt durch die gehabten kleinen Erschütterungen so trefflich aufgelockerter Boden, dass es gar nicht anders seyn konnte, als der hineingestreute Same des Mitleids musste reichliche Früchte tragen. – Herr Stark konnte zu Abend nicht essen, und die Nacht über nicht schlafen. Immer schwebte ihm die kleine Gruppe vor, die ihm die Tochter geschildert hatte, und immer war's ihm, als ob er hin müsste, um der Witwe das Tuch aus der Hand und die kleinen lieben Waisen auf seine Arme zu nehmen.

Ausser diesem Bilde, waren es noch Gedanken anderer Art, die ihn beunruhigten,[272] und von einer Seite zur andern warfen. – »Die Witwe fühlte ihr Vertrauen an den Namen Stark wie gefesselt.« – Das schien ihm gleichsam ein Schuldbrief zu seyn, ein Wechsel, den der Glaube an Tugend auf seine Ehre gezogen hatte, und den er unmöglich anders als honoriren konnte. – »Sie hatte bei dem Vater suchen wollen, was die Umstände von dem Sohne zu fordern nicht zuliessen.« – Wie konnte er sich's nur denken, dass der Vater in Beweisen von Edelmuth hinter einem Sohne zurückbleiben sollte, den er seiner Engherzigkeit wegen so oft getadelt hatte? – Dann noch der Name der Frau, der ihn an seinen ehemaligen vertrautesten Freund, den guten, redlichen Lyk, erinnerte; ihre grosse, bis zur Ohnmacht gehende Schüchternheit, fremde Hülfe zu suchen, die er[273] als einen sichern Beweis edler Denkungsart ansah; ihre Thränen, die er zum Theil wohl selbst durch gewisse Züge in der Unterredung mit ihr mogte hervorgelockt haben; das mannichfaltige Unrecht, das er ihr, von Vorurtheil geblendet, durch Spöttereien gethan, die sie so ganz nicht verdiente, und für die nun sein eignes Herz, ob sie gleich das Ohr der Unschuldigen nie erreicht hatten, Genugthuung forderte; die Gelegenheit, die sich eben im Hause der Lyk gefunden, das verborgene Gute in dem Charakter seines Sohnes, das ihm so grosse Freude gemacht hatte, an's Licht zu bringen: – alle diese und ähnliche Betrachtungen hielten den Alten bis nach Mitternacht wach, und liessen ihn auch dann noch keinen festen Schlaf, nur einen unruhigen Schlummer finden.

Quelle:
Johann Jakob Engel: Schriften. Band 12, Berlin 1806, S. 262-274.
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