XXVII.

[284] In seiner Seelenangst, da er sich das ehrenvolle Zutrauen des alten Herrn so gern erhalten hätte, und doch auch nicht wusste wie er es anfangen sollte, irrte Monsieur Schlicht, wie ein Unkluger, im ganzen Hause umher; und kam zuletzt auch vor das Zimmer des jungen Herrn, ohne selbst zu wissen was er da wollte. – Man denke sich sein Erstaunen, als er das Zimmer geöffnet, und den Gegenstand seiner Sehnsucht mit aufgestütztem Arme am Tische dasitzend fand. Er kreuzte und segnete sich, eh' er ihm näher trat, und ihn mit zitternder Stimme fragte: ob er's denn wirklich wäre?

Da glaubst doch nicht an Gespenster? sagte der junge Herr Stark.[285]

Ach mein Gott! Wenn's nicht heller lichter Tag wäre; man mögt's beinahe. – Wie, um's Himmels willen! kommen Sie hier herein?

Von hinten, mein lieber Schlicht. Durch den Thorweg.

Ha! – Stand der offen?

Sperrweit. –

Nun, so soll doch auch den Knecht gleich auf der Stelle der Henker holen! Er hat Holz gefahren, der Schlingel! und hat mir den Thorweg offen gelassen.

Monsieur Schlicht, in seiner ökonomischen Wuth, wollte augenblicklich hinunter, um den Knecht rechtschaffen auszufenstern. – Aber, sagte Herr Stark, ist's dir denn nicht lieb, alter Vater, dass ich mich auf diese Art habe in's Haus schleichen können?

Ach ja! ja! erwiederte Monsieur [286] Schlicht: gar zu lieb! und ich will ja auch dem Kerl noch ein Trinkgeld, ein gutes Trinkgeld geben; mit tausend Freuden! – Aber ausschimpfen muss ich ihn erst, und muss erst sehen ob Alles zu ist. Wir haben Diebsbanden hier in der Stadt. – –

Das Geheimniss von der frühen Zurückkunft des Herrn Stark war kein andres, als seine zur vollen Leidenschaft gediehene Liebe zur Witwe. Diese machte ihn für jede Gesellschaft, so wie jede Gesellschaft für ihn, ungeniessbar. Sein Freund, der die unglückliche Stimmung seines Gemüths bald genug inne ward, suchte ihn auf alle mögliche Weise zu zerstreuen und aufzuheitern: er brachte Gespräche auf die Bahn, in denen Herr Stark seine Handlungskenntnisse entwickeln konnte; er stellte eine eigene kleine[287] Jagdpartie für ihn an; er schlug gesellschaftliche, muntere Spiele vor, bei denen sonst Lachen und Scherz nie fehlen: aber Alles vergebens. Im Gespräch gab Herr Stark, wenn von Java die Rede war, über Jamaica Antwort; auf der Jagd liess er die Hasen, die man ihm fast vor die Füsse trieb, ungesehen davon laufen; und zu den Spielen war er so unlustig oder nahm sich dabei so linkisch, dass sie fast eben so schnell wieder abgebrochen, als angefangen wurden. Endlich, wie leicht zu erachten, ward man der undankbaren Mühe, ihm Vergnügen zu machen, überdrüssig; und Herr Stark hätte noch ein wenig zerstreuter seyn müssen als er es war, um nicht zu merken, dass er seinem Freunde zur Last, und was noch mehr ihn kränkte, seinen Mitgästen lächerlich ward. Er packte also[288] schnell wieder zusammen, und nahm schon am dritten Tage von seinem gütigen Wirthe Abschied, der zwar Ehrenhalber seine zu frühe Rückreise tadelte, aber im Grunde des Herzens froh war ihn wieder loszuwerden. –

Herr Stark hatte nunmehr die völligste Überzeugung, dass er mit seiner Leidenschaft nur vergebens kämpfe, und dass er ohne den Besitz der Witwe unmöglich leben könne. Es waren drei Fälle, die bei der Bewerbung um sie Statt finden konnten; und für jeden war sein Entschluss schon gefasst. Wenn der Vater seine Einwilligung abschlug, aber die Witwe sie gab; so setzte er sich mit den Vormündern der Lykischen Kinder, und zog zu der Witwe in's Haus, um ihre Handlung, die er genugsam hatte kennen lernen, zu übernehmen und fortzuführen.[289] Wenn der Vater, wie er zwar innig wünschte, aber zu hoffen sich nicht getraute, seiner Wahl aus vollem Herzen beistimmte – denn ein nur gezwungner oder gar erbettelter Beifall genügte ihm nicht –; so schlug er die Lykische, ohnehin gesunkene, Handlung so vortheilhaft los als möglich, und führte die Geliebte seines Herzens in das väterliche Haus ein, wo er dann mit verdoppeltem Eifer sich seinen Geschäften widmen, nur ihnen und seiner Liebe leben, und den Vater überzeugen wollte, dass es ihm so wenig an Talenten als an Tugenden fehle. Wenn unglücklicher Weise die Witwe selbst – sie, für die er so viel gethan hatte, und die er so innig liebte – seinen Wünschen abhold war; so blieb er keinen Augenblick länger in einer Stadt, wo er das Weib seines Herzens ohne[290] Hoffnung des Besitzes vor Augen haben, oder wohl gar einen Dritten – er knirschte bei dieser Vorstellung – in ihren Armen glücklich sehen müsste. Er begab sich alsdann, wie er bisher gewollt hatte, nach Br ..., wo schon Alles zu seiner Aufnahme bereit war, und wohin er den Briefwechsel mit seinem Geschäftsträger eben in dieser Hinsicht noch fortsetzte.

So weit stand der Entschluss des Herrn Stark, ohne zu wanken, fest: und schon dies beruhigte gewissermassen sein Herz; aber noch erhielt ihn die Ungewißheit, welche von den aufgezählten Möglichkeiten zur Wirklichkeit kommen würde, in jenem finstern, schwermüthigen Staunen, worin ihn der alte Schlicht überrascht hatte. Um auch dieser Ungewissheit los zu werden, beschloss er jetzt, sobald der Vater zu Tische sässe, in das Haus des[291] Schwagers zu eilen, der um das Geheimniss seines Herzens nun einmal wusste, und der ihm seines vollen, unbedingten Zutrauens werth schien. Mit ihm wollte er sich über die Art und Weise besprechen, wie er am besten die Gesinnung der Witwe, und dann auch die des Vaters, erforschen könnte.

Quelle:
Johann Jakob Engel: Schriften. Band 12, Berlin 1806, S. 284-292.
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