VIII.

[69] Madam Stark, die schon einige Zeit auf ihrem Posten gestanden hatte, glaubte jetzt eine unglückliche Wendung des Gesprächs zu bemerken, und kam herein. Das Mutterherz war ihr übergetreten, und sie hielt das Tuch vor die Augen.

Bist du da, lieber Vater?

Auch die? sagte der Alte in sich, und sah nun im Geist, mit voller Überzeugung auch schon die Tochter kommen. – Ja, wie du siehst, liebe Mutter. – Er stand auf, und ging ihr freundlich entgegen.

Diese Freundlichkeit beunruhigte Madam Stark; sie hätte, nach dem Antrage des Doctors, ihn weit lieber mürrisch und verdriesslich gefunden. – O ich sehe schon, sagte sie, ich werde wieder einmal vergeblich bitten.[70]

Warum? Weil ich freundlich bin, meinst du? – Ich fürcht' es beinahe auch, weil du weinst. – So ein vierzig Jahre mit einander leben, macht doch sehr mit einander bekannt. – Wenn du dein Recht fühlst, weiss ich, da kömmst du so zuversichtlich, so freudig, und ich bleibe dann in meiner gleichmüthigen Ruhe; aber wenn du dein Unrecht fühlst, da beweinst du den schlechten Erfolg den du voraussiehst, und ich bin dann fein freundlich, um dich zu trösten. – Nur gleich die Probe zu machen: Was giebts?

Dein Sohn will von dir – fuhr sie mit grosser Wehmuth heraus.

Wenn er will; – – du weisst, er ist kein Jüngling mehr; er ist Mann.

Freilich! Freilich! Und eben darum – –

Richtig! – Eben darum muss er wissen, was er zu thun hat.[71]

Aber ihn verlieren zu sollen! –

Das ist nicht anders. Söhne gehn in die Welt.

Wenn du nur mit ihm reden, nur ein einziges mal mit ihm freundlich seyn, ihm dein Wort geben wolltest – –

Wie? – wie? – Nun da sieh einmal, Mutter! Sieh, wie Recht du hast, dass du weinst! – Ich mein Wort geben? ihm? Und worüber? – Der junge Mensch, seh' ich, wird mir fein aufsätzig, fein trotzig; es verdreusst ihn, einen so wachsamen Beobachter, einen so beschwerlichen Erinn'rer zu haben; er mögte gar zu gern den Mund gestopft wissen, aus dem er so unangenehme Wahrheiten hört; er macht da Plänchen, mich in Furcht zu setzen, in Respect zu erhalten; er mögte mir – wie heisst doch die Redensart? – er mögte mir Brillen verkaufen. Eben jetzt[72] hat er da eine fertig, wovon er glaubt, dass sie mir unvergleichlich stehen müsste; und da kömmst du nun, und bittest mit heissen Thränen, dass ich die Nase hinhalten soll, um sie mir aufsetzen zu lassen. – Sage: ist das recht, Mutter? Ist das vernünftig?

Sie hören! sagte die Alte, und streckte die Hand mit dem Tuche gegen den Doctor. – So hat er es immer mit mir getrieben! Das gelt ich bei ihm! Das bin ich ihm werth! – So hab' ich mich von jeher müssen verächtlich machen und misshandeln lassen.

Herr Stark bat, dass sie schweigen mögte: denn das Jammern sei ihm in der Seele zuwider, und Unvernunft hör' er nicht gerne; aber er bat umsonst, und er hätte selbst können schweigen. Endlich besann er sich, dass er ja auf dem einen[73] Ohre taub sei, und dass er über das andre nur den Stutz ziehen dürfe: was er denn unverzüglich that, und sich gemächlich wieder an seine Arbeit setzte.

Quelle:
Johann Jakob Engel: Schriften. Band 12, Berlin 1806, S. 69-74.
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