Ein Stückchen Weltkomödie

Zur Aufführung des Schauspieles »Anna Iwanowna«

Das Erbe des großen Zaren Peter I. († 1725), der die Entwicklung seines Volkes und Staates mit gewalttätigem Eifer vorwärtstrieb, fand keinen Nachfolger, der das riesige Werk mit gleicher Kraft weitergeführt oder auch nur klug verwaltet hätte. Schon unter der kurzen Regierung seiner Gattin Katharina I., die ihren Günstling, den Fürsten Mentschikoff, willkürlich schalten und walten ließ, und noch mehr während der kaum dreijährigen Herrschaft seines Sohnes Peter II. hoben die Gegner der petrinischen Reformen immer kühner ihr Haupt, und als der vierzehnjährige Zar, durch wilde Ausschweifungen früh verbraucht, am 31. Jänner 1730, von einem hitzigen Fieber rasch dahingerafft, starb, standen sich ganz offen zwei Parteien zum Kampfe um den Zarenthron gegenüber. Die Altrussen wollten die einzige noch lebende Tochter Peters des Großen, die schöne, aber sittlich arg verwilderte Großfürstin Elisabeth Petrowna auf den Thron erheben und das Reich von Moskau aus ganz im alten Geiste der Bojaren regieren.

Die Gegenpartei, die streng an den Neuerungen Peters festhielt und wegen ihrer westlichen Neigungen auch die »deutsche Partei« hieß, war jedoch schneller am Werk: Schon am 4. Februar 1730 traf eine Abordnung aus Moskau in der kurländischen Hauptstadt Mitau ein und trug der dort regierenden Anna Iwanowna des Reiches Krone an.

Diese Herzogin Anna war eine Nichte des großen Peter, der sie in ihrem achtzehnten Lebensjahr kurzerhand an den Prinzen Friedrich Wilhelm von Preußen vermählt hatte. Der Prinz, der zugleich Herzog von Kurland war, starb zwei Tage nach der Hochzeit, wie es heißt, an den unmittelbaren Folgen des gewaltigen Rausches, den ihm der Zar durch unermeßliches Zutrinken förmlich anbefohlen hatte. Ob historisch oder nicht – Peter dem Großen wären solche Gewaltstücke ohne weiters zuzutrauen gewesen.

Die jugendliche Witwe nun richtete sich in ihrer Residenz Mitau nach ihrem Sinne ein. Sie strebte nach westlicher Kultur, d.h. sie lernte einmal ordentlich lesen und schreiben und ließ sich mit Vorliebe von ihren Damen und Kavalieren französische Romane vorlesen.

So war auch einmal der junge Fürst Anatol Galizyn mit dem Ehrenamte des Vorlesens betraut worden, und es geschah, daß sich die Herzogin in den schönen, ungebärdigen Menschen rettungslos verliebte. Sein Herz aber zog ihn nicht zu ihr, sondern in die Welt hinaus, in Taten und Abenteuer und, als die verliebte Herzogin Miene machte, ihn mit Gewalt festzuhalten, brannte er einfach durch. Vergebens war[127] ihr Toben und Weinen – der schöne Kavalier blieb verschollen; und es heißt, daß die Verlassene sich schließlich aus Trotz und, um sich zu betäuben, in die Arme des Nächstbesten geworfen habe.

Ob dies nun der Grund war oder nicht: Sicher ist, daß Anna Iwanowna ihren ehemaligen Stallmeister und späteren Kammerdiener Johann Biron, einen Abkömmling aus niederem, preußischem Adel, zu ihrem Günstling erhob und nach und nach, als sie Zarin geworden war, zum Grafen, Fürsten und schließlich zum Herzog von Kurland machte. Dieser rohe, grausame, aber auch kraftvoll überlegene Mann beherrschte die Zarin unbedingt und durch sie das weite russische Reich, dessen Kerker und Eiswüsten er rücksichtslos! mit seinen Gegnern füllte. Nur die Deutschen, vor allem der Kanzler Graf Ostermann und die Marschälle Münich und Löwenwolde, konnten sich neben ihm behaupten, den Russen aber war er ein Dorn im Auge und die Verschwörungen und Intrigen gegen ihn und die Zarin nahmen in den zehn Jahren ihrer Regierung (1730-1740) kein Ende. Besonders in den letzten Jahren flammte es bald da, bald dort bedrohlich auf, und wenn die Anschläge dennoch stets vereitelt wurden, so war das meist nur der Wachsamkeit von Konkurrenzverschwörungen zuzuschreiben, die Gleiches anstrebten.

Kurz: Der russische Hof tanzte auf einem Vulkan, als im Winter 1739 plötzlich die Kunde eintraf, Fürst Anatol Galizyn sei nach fast zehn Jahren Fremde unvermutet heimgekehrt. Wie die Zarin diese Nachricht aufnahm, ist nicht näher bekannt; daß aber die alte Leidenschaft in rachsüchtiger Flamme wieder aufzuckte, als sie erfuhr, der Ungetreue habe sich im Auslande römisch-katholisch verheiratet, kann man aus dem Folgenden entnehmen:

Sie ließ den Fürsten sofort gefangennehmen, seine Frau auf die Straße werfen, wo sie spurlos umkam, und vermählte den einst geliebten Mann mit einer alten, buckligen Waschfrau. In einem Eispalast, der eigens zu diesem Zwecke auf der festgefrorenen Newa kunstvoll erbaut wurde, fand die Hochzeit statt. Dabei nun soll die Zarin insofern betrogen worden sein, als die alte Wäscherin, die an der Gicht darniederlag, ihre schöne, junge Tochter unter die Brautvermummung steckte und zur Zarin sandte. Erst am andern Morgen merkte Anna den Betrug, ließ die arme Eisbraut sofort töten und machte den Fürsten Galizyn zur Strafe zu ihrem Oberhofnarren. Er mußte ein Federkleid tragen, auf einem Eierkorb sitzen und durfte bei Todesstrafe kein Wort sprechen, sondern nur gackern und krähen.

Wie lange er dies aushielt, ist nicht bekannt. Die Zarin Anna aber starb einige Monate nach dieser Aufregung, nachdem eine weitverzweigte Verschwörung des Grafen Artenau Wolinski knapp vor ihrer Ausführung entdeckt und durch grausamste Strafen vernichtet worden war.[128]


Quelle:
Bruno Ertler: Dramatische Werke. Wien 1957, S. 127-129.
Lizenz:
Kategorien: