VI.

Szene wie im vierten Bilde. – Nacht, Mondlicht, durchs Fenster hereinflutend, blinkt in der Spitze des Speeres, der dem Fenster gegenüber an der Wand lehnt.


DER SEHENDE WÄCHTER öffnet leise die Türe rechts hinten und schleicht vorsichtig in den Raum. Wie er in der Mitte steht, sieht er den Speer aufblinken, stößt einen leisen Ruf aus und geht, die Hände vorgestreckt, auf die Waffe zu. Blutes Glühen reißt mich zu dir, erlösend verwandtes, heiliges Licht! Berührt den Speer. Reines Gewalten, Bruder mir, aus allem Anfang einte uns Ewigkeit. Laß' mich an deinen starken Schaft mich binden, wie neues Grün sich rankt um der Eiche Stamm, flammend mich dein Zeichen entgegenfinden der Tat des einen, der beide uns führt. Du lichten Morgens befreiender Pfeil ...! Sturmfahne dem Werden ... Wie ich sein Teil ...!


Er hat den Speer in beide Hände genommen und hält ihn hoch vor sich.


DER ERFAHRENE WÄCHTER schleicht von rechts herein, erblickt den andern, fährt zurück, erkennt ihn, kommt näher. Ei sieh ... Du kamst zuvor. Hat dir der Herr wie mir befohlen? Gib den Speer! Die Zeit ist kurz.

DER SEHENDE WÄCHTER. Den Speer ...? Du willst ...?

DER ERFAHRENE WÄCHTER. Was Belian befahl. Ich wußte nicht, daß er auch dich gesandt. Es muß ihn mächtig plagen. Laß' es nur erst morgen sein. Dann ist der Spuk verflogen. Greift nach dem Speer. Komm' ...

DER SEHENDE WÄCHTER. Laß' deine Hand vom Schaft!

DER ERFAHRENE WÄCHTER. Ist dir die Ehr' so hoch? Mir liegt nicht viel an solcher Tat, die Stehlen ähnlich ist, wie ich mir selbst. Trag' immer du das Ding zu Belian. Warst eher da.

DER SEHENDE WÄCHTER. Den Speer zu Belian ...?

DER ERFAHRENE WÄCHTER. Nun ja, was sonst? Mach' schnell ...

DER SEHENDE WÄCHTER. Verräter! Nimmermehr ...!

DER ERFAHRENE WÄCHTER. So wärst du nicht ...? Faßt den Speer. Gib mir die Lanze.

DER SEHENDE WÄCHTER. Nie. Solang mein Arm zu halten stark ist ...

DER ERFAHRENE WÄCHTER ringt mit ihm. Ei! Laß' sehen, Knabe ...! Lern' deinen Meister kennen ...! Morgen will ich dir die Rute geben, Fäntchen ... Entreißt ihm den Speer. So ...! Vorwärts und still jetzt!

DER SEHENDE WÄCHTER springt vor die Ausgangstür rechts hinten und[243] deckt sie mit seinem Leibe. Deine Hand vom Speere ...! Du gehst mit ihm nicht fort ...!

DER ERFAHRENE WÄCHTER. Der Tollkopf ist betrunken! Oder steckt dir noch der Traum von heute nacht im Hirn? Ich will dir doch die Sterne aus dem Schädel schlagen. Da! Schlägt mit dem umgekehrten Speer nach ihm. Wie schmeckt der Stock, daran dein Herz sich fing und Sterne hangen bleiben? Hahaha ...! Jetzt geh'. Ich halte mich zu lange mit dir.

DER SEHENDE WÄCHTER. Nicht von; der Stelle, sag' ich!

DER ERFAHRENE WÄCHTER legt den Speer ein. Platz ...!

DER SEHENDE WÄCHTER zieht den Dolch. Für einen nur von uns beiden!

DER ERFAHRENE WÄCHTER. Ist es so gemeint?! Dann lerne sehen. Narr ... Rennt ihm den Speer in die Brust.

DER SEHENDE WÄCHTER bricht zusammen. Ah ...!

DER ERFAHRENE WÄCHTER springt hin. Mußtest du so starr sein ...?!

DER SEHENDE WÄCHTER sterbend. Laß' ... Es reicht kein Wort ... von dir ... zu mir ... Streckt die Hand gegen den Speer. Den Stern hat Blut verlöscht ... Weh dir ...! Bäumt sich mit letzter Kraft; stark. Fluch ihnen allen! Fluch ... die so wie du des Lichtes Waffen mörderisch geschändet ...! Bricht sterbend zusammen. Die Nacht ... zerfällt ... Das Neue ... Stirbt.

DER ERFAHRENE WÄCHTER tritt über seine Leiche weg und geht, den Speer in der Hand, ab. Von ferne hört man grell das Lachen Belians. Hahaha ...!


Volle Verdunklung.


Quelle:
Bruno Ertler: Dramatische Werke. Wien 1957, S. 241-244.
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