2. Szene

[246] Der Fremde, Marpalye.

Der Fremde wendet sich in den Raum zurück, der nun wieder, stärker als früher, vom Mondlicht durchflutet ist. Er breitet die Arme aus und geht gegen das Fenster. Ehe er noch dort ist, öffnet sich lautlos die Türe rechts und Marpalye erscheint auf den Stufen. Sie ist in ein weich fließendes Gewand gekleidet und hält in einer Hand einen goldenen Becher. Lautlos geht sie näher und, wie sie in das Mondlicht tritt, bleibt sie stehen, so daß sie wie eine unwirkliche Erscheinung aussieht.


DER FREMDE nachdem er sie eine Weile regungslos angesehen. Bist du aus Trug und Nacht ein Zeichen? Ein Traum aus des Tages Bild ...? Marpalye ... Königin ... Kind ...?

MARPALYE wendet ihr Angesicht ab und hält ihm zugleich den Becher hin. Innerlich widerstrebend, sagt sie in fremdem Ton. Trinke, Fremder, trink' den Becher süßer Lust ... Vergehen, Vergessen, Glut und Labe hält sein Gold. Nie ward dir ein Trunk, so voll, so schwer ... Trinke, Fremder, trinke ...

DER FREMDE weicht zurück. Das bist nicht du, Marpalye ... So klingt dein Rufen nicht ...

MARPALYE. Wann hättest du es gehört, was in mir ruft ...?

DER FREMDE. Gesehen, Kind ... Aus allem Licht erlauscht, das aus Heimatferne dich traf. Eines andern ist dein Wort, dir selber[246] feind ... Der Laut, der dein ist, hat sich dir nie entrungen, wenn er nicht klang, wie du leuchtest.

MARPALYE noch immer abgewandt, trotzig. Wer heißt dich werben um mich und nach mir schlagen zugleich, du Feind ... Du Fremder ...? Ich weiß kein Wort als das eine: Nimm den Becher ... Trinke Lust ...

DER FREMDE. Deiner tiefsten Frage reiner Spiegel, dein Auge segnet ihn nicht, Marpalye ...

MARPALYE blickt erst kurz auf den Fremden, will sich abwenden, ist durch seinen Blick gebannt und sieht ihm in die Augen. Trinke.

DER FREMDE will den Becher nehmen. Da fällt sie im Banne seines Blickes vor ihm nieder. Er breitet die Arme aus und ruft. Seele ...!

MARPALYE vor Glück aufschluchzend. Du ...!

DER FREMDE nimmt ihren Kopf in beide Hände, ihr in's Auge sehend. Kindersüße! Reine! Auferstandene! Schwesterchen aus allem Licht! Du Sternaugenprinzessin aus dem Märchenwald, Funkelkristall im neidischen Stein! Geht ein Lied von einem Stern. Mancher ihn leuchten sieht ... Nur der eine nicht, mit dem er zieht. Muß durch Wust und Feind wandern und wandern, bis sein Licht sich eint einem andern, dessen stiller Glast aus gleicher Heimat her zog durch Gier und Hast, einsam wie er. Wie viele von allen brennend in's Dunkel fallen, keiner ermessen mag ... Wenn aber zwei sich grüßen, dann ist es Tag! Dann brechen zwingende Mauern ein und begraben Götzen aus Gold und Stein. Wut und Lüge und Haß verweht ... Ein Kinderlied, ein Jubelgebet bannt Gift und Sucht aus allem Sein. Streckt seine Hand nach dem Becher aus. Gib mir den Becher ... Er ist rein in dieser Stunde.

MARPALYE drängt seine Hand weg. Laß die Hand ...! Hebt den Becher, der im ersten Dämmern des Morgens aufblinkt, steht auf. Seinen falschen Glanz, seine blendende Schmach, halb wissend getragen, werf' ich der Nacht aus Blut und Gier jauchzend nach ...!


Sie wirft den Becher durch das offene Fenster weithin. Im selben Augenblick bricht starkes Licht herein.


DER FREMDE springt auf, umfängt mit einem Arm Marpalye, weist mit dem andern hinaus. Ein Stern stieg aus dem Becher auf ...!

MARPALYE jauchzend. Der Stern ...! Der heilige Stern!

DER FREMDE erhebt sich langsam. Rein kehrt er heim ins Lichte ...!

MARPALYE. Morgen naht!! ...


Indem sie einander in die Arme fallen, verdunkelt und wandelt sich die Szene.


Quelle:
Bruno Ertler: Dramatische Werke. Wien 1957, S. 246-247.
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