Drittes Kapitel
Unser Held macht große Fortschritte auf seinem Wege zur wahren Größe.

[95] Doch halten wir den Leser nicht länger mit diesen niedrigen Charakteren auf! Ohne Zweifel ist er ebenso ungeduldig, wie das Parterre in einem Schauspiele, wenn der Hauptcharakter des Stücks seinen Augen zu lange entzogen wird. Wir wollen uns daher nach seinem Willen bequemen und mit den Taten des großen Wild fortfahren.

In der Kutsche, mit welcher Wild von Dover abfuhr, befand sich ein junger Herr, der ein Landgut in Kent verkauft hatte und nun nach London ging, um daselbst das Geld in Empfang zu nehmen. Auch ein hübsches junges Mädchen machte die Reise mit, und zwar in der Absicht, in London ihr Glück zu machen; sie war aus Canterbury und hatte ihre Eltern heimlich verlassen. In dieses Mädchen verliebte sich obgedachter junger Herr so heftig, daß er die Absicht seiner Reise öffentlich kundtat und ihr eine beträchtliche Summe anbot, wenn sie mit ihm in die Provinz zurückkehren wollte, wo er sie auf immer vor ihren Eltern verbergen könnte. Wir können nicht mit Gewißheit bestimmen, ob sie diesen Vorschlag annahm oder nicht; indessen hörte Wild von dem Gelde, als er auch schon den Plan zu entwerfen begann, wie er sich dasselbe zu eigen machen könnte. Er schwatzte demzufolge ein Langes und Breites über die sicherste Manier, Geld auf der Landstraße fortzubringen, und sagte, er hätte eben jetzt zwei Banknoten, jede zu hundert Pfund, in seinen Rock genäht, und setzte hinzu:

»Da steckt es so sicher, daß mir vor dem listigsten Straßenräuber nicht bange ist.«

Der junge Herr, der eben kein Abkömmling des weisen Salomo war oder doch ebensowenig wie ein andrer Abkömmling weiser Leute die Weisheit seiner Vorfahren geerbt hatte, billigte Wilds Klugheit außerordentlich, dankte ihm für seinen guten Rat und meinte, bei seiner Rückfahrt wolle er seinem Beispiel folgen. Nun hatte Wild nichts angelegentlicheres zu tun, als sich nach dem Tage seiner Reise zu erkundigen, welchen er auch vor ihrer Trennung glücklich in Erfahrung brachte.

Bei seiner Ankunft in der Stadt suchte er sich zwei beherzte Kerle zu diesem Abenteuer aus, und, nachdem er seiner Meinung nach den kecksten und entschlossensten von diesen beiden auf die Seite genommen hatte (denn er pflegte sich immer jedem besonders[95] zu entdecken), schlug er ihm vor, den jungen Herrn quaestionis zu plündern und zu ermorden.

Herr Marybone (so hieß der Ehrenmann, dem Wild dies zumutete) ließ sich das Ausplündern herzlich gern gefallen, aber gegen den Mord machte er einige Einwendungen. Er meinte, einen Straßenraub wolle er leicht auf sein Gewissen nehmen, wenn er die Sache recht bei Licht betrachte; denn so selten sich auch ein kühner Straßenraub der menschlichen Feigheit wegen ereignete, so wäre die bei weitem sichere Art, zu stehlen und zu betrügen, wo man sich bei den Gesetzen vorbeizuschleichen wüßte, nur zu gemein; und darum machte er sich gar nichts daraus, ebensowenig ehrlich zu sein wie andre Leute. Aber mit dem Gedanken eines Mordes könnte er sich keineswegs aussöhnen; dies sei eine so schreckliche Sünde, daß Gottes Gericht sie auf der Welt verfolge und allemal an den Tag kommen lasse.

Mit einem äußerst verächtlichen Blick gab unser Wild ihm folgende Antwort: »Du, den ich aus der ganzen Bande vor allen andern zu diesem großen Unternehmen mir ersehen habe, du kannst von Gottes Rache schwatzen? Wie es scheint, hast du dich in Rücksicht eines Diebstahls mit deinem Gewissen abgefunden, weil dies etwas ganz Gewöhnliches ist. Macht dich also das Ungewöhnliche eines Mordes zittern? Vielleicht glaubst du, Flinten, Pistolen, Schwerter und Messer sind die einzigen Werkzeuge des Todes. Sieh dich um in der Welt, und du wirst nicht alle Menschen zählen können, die ihr zerrüttetes Vermögen, ihr von Schmerz und Kummer gebrochenes Herz unter die Erde gebracht hat. Jener berühmten Helden nicht zu gedenken, die ganze Nationen ihrem Ehrgeiz geopfert haben – was dünkt dich von heimlicher Verfolgung, Verräterei und Verleumdung, wodurch den unglücklichen Schlachtopfern gleichsam die Seele aus dem Leibe gerissen wird? Ist es nicht edler, ja sogar gutmütiger, einen Menschen mit einem derben Streich oder Hieb zur Ruhe zu bringen, als ihm alle seine Habseligkeiten abzunehmen, seinen Charakter durch boshafte Verleumdungen zu ruinieren und ihm so einen langsamen Tod oder, was noch schlimmer ist, ein elendes Leben zu bereiten? Ein Mord ist daher so etwas Ungewöhnliches nicht, wie du Tor glaubst, ob du gleich recht hast, wenn du behauptest, ein Straßenraub sei der ehrenvollste von allen, weil man dabei den Gesetzen Trotz bietet. Aber glaube mir, zugleich ist dies auch die unschuldigste Manier, einen um das Seinige zu bringen; denn die Zunge einer Natter ist nicht so giftig, wie die Zunge eines Verleumders, und die vergoldeten Schuppen einer Klapperschlange sind nicht so schrecklich, wie der[96] unersättliche, nie zu füllende Geldsack des Unterdrückers. Darum nichts mehr von deinen Skrupeln! Befolge meinen Willen ohne Anstand, wenn ich nicht glauben soll, daß du dich wie ein Weib fürchtest, deine Kleider blutig zu machen, oder wie ein Narr vor dem Galgen zitterst. Auf mein Wort: lieber ein ehrlicher Mann, als ein halber Spitzbube! Hoffe nicht, nur noch einen Tag in meiner Bande zu bleiben, wenn du mir nicht unbedingt gehorchst; denn niemand soll die kleinste Belohnung von mir erhalten, der vor irgend etwas zurückbebt oder einem andern Gesetze als meinem unumschränkten Willen folgt!«

Hier endete Wild seine Rede, die aber nicht den gewünschten Erfolg hatte. Marybone blieb hartnäckig auf seinem Kopfe und wollte den Mord nicht unternehmen, und dieser mußte doch gewagt werden, weil Wild fürchtete, es könne ihn in Verdacht bringen, wenn Marybone das Kleid des reisenden Herrn durchsuchte. Er schrieb unsern Marybone daher sogleich ins schwarze Register, und nicht lange nachher ward dieser Ehrenmann angeklagt und hingerichtet als ein Kerl, auf den sich sein Anführer nicht genug verlassen konnte. So fiel er, wie viele Spitzbuben fallen, nicht ein Opfer seiner Spitzbüberei, sondern ein Opfer seiner Gewissenhaftigkeit.

Quelle:
-, S. 95-97.
Lizenz:
Kategorien: