Dreizehntes Kapitel
Ein Kapitel, auf das wir außerordentlich stolz sind, und welches wir in der Tat als unser Meisterstück ansehen. Es enthält eine wunderbare Geschichte, den Teufel betreffend, und eine sehr delikate Ehrensache.

[39] Der Leser, auch wenn er selbst ein Spieler wäre, würde es mir schwerlich danken, wenn ich ihn mit einer umständlichen Nachricht von dem Glück und Unglück aller mitspielenden Personen heimsuchte; genug also, daß sie so lange spielten, bis das Geld völlig vom Tische verschwunden war. Ob es vielleicht der Teufel geholt, wie einige behaupten, wage ich nicht zu entscheiden; aber sonderbar war es doch, daß ein jeder hoch und teuer versicherte, er habe verloren, und daß niemand nur mutmaßen konnte, wer gewonnen hätte, wenn es, wie gesagt, nicht der Teufel gewesen.

Aber so wahrscheinlich es auch ist, daß der Erzfeind sein Teilchen von der Beute bekommen, so läßt sich doch nicht vermuten, daß er sie sich ganz und gar zu Gemüte geführt. Denn ungeachtet dieser Behauptungen des Gegenteils glaubte man doch, daß Herr Bagshot sehr glücklich gespielt hätte: man hatte ihn nämlich zu verschiedenen Malen ganz heimlich Geld in seine Taschen stecken sehen, und was noch mehr ist, der gravitätische Herr, von dem wir eben gesagt haben, daß er seinem Vaterlande in zwei ehrenvollen Posten gedient hatte, hatte, vermutlich weil er seinen Augen nicht getraut, häufige Untersuchungen in Bagshots Taschen angestellt, aus welchen er seiner eigenen Angabe nach freilich einige Geldstücke hervorzog, in welchen er aber, wie er ganz gewiß wußte, noch ihrer viele zurückließ.

Dieser Ehrenmann hatte seine Neugierde schon eine ganze Weile befriedigt, ehe es Bagshot in der Hitze des Spiels innegeworden; aber – als das Spiel nun zu Ende ging, bemerkte er die Wirkungen davon in seinen Taschen, sprang voll Wut von seinem[39] Stuhle auf und rief: »Ich glaubte, ich befände mich unter Leuten von Ehre, aber, hol mich der Teufel! Es gibt einen Taschendieb in der Gesellschaft.« Dies skandalöse Wort brachte den ganzen Tisch in Aufruhr, und sie hatten samt und sonders so einen fürchterlichen Schreck, wie ein Konsistorium, wenn es hört, daß ein Atheist in der Stube sei; vorzüglich aber jagte dies den Ehrenmann in den Harnisch, auf den es freilich nicht ausdrücklich gemünzt war. Er sprang ebenfalls von seinem Stuhle auf und schrie mit grimmigen Gebärden:

»Meinen Sie mich? Gott verdamme Sie, Sie sind ein Schurke, ein Spitzbube!« – Diese Worte würde gewiß ein Prügelregen begleitet haben, wenn sich nicht die Gesellschaft ins Mittel geschlagen und mit ausgestreckten Armen die beiden Antagonisten voneinander entfernt hätte. Doch dauerte es eine ganze Zeit, ehe man sie dahin bringen konnte, sich ruhig niederzusetzen, und da dies endlich geschah, so gab ihnen der ältere Herr Wild, der ein sehr gutmütiger, friedliebender Herr war, den Rat, sie sollten sich die Hände geben und Freunde sein; aber der beleidigte Teil schlug dies rund ab und schwor: Der Schurke solle ihm den Schimpf mit seinem Leben bezahlen. Herr Snap billigte den Entschluß höchlich und behauptete, keiner, der auf den Namen eines braven Kerls Anspruch machte, dürfte so eine Beleidigung einstecken, und wenn sein Freund diesen Schimpf auf sich sitzen lasse, wolle er in seiner Gesellschaft keinen Verhaftbefehl mehr exekutieren; er hätte ihn immer für einen Mann von Ehre gehalten und wüßte gewiß, daß er sich auch von der Seite zeigen würde; wäre ihm so etwas begegnet, er würde sich Genugtuung fordern, und wenn der Kopf darauf stände. Der Graf erklärte sich auch für diese Meinung, und die streitenden Parteien ließen auch schon einige Worte über ihre Absicht fallen.

Zuletzt erhob sich unser Held ernst und langsam von seinem Sitze, machte die ganze Gesellschaft auf sich aufmerksam und redete folgendermaßen: »Mit unendlichem Vergnügen habe ich alles angehört, wie die beiden Herren, die zuletzt ihre Meinung von sich gegeben, zum Behuf der Ehre gesprochen, und vielleicht kann niemand einen höheren und edleren Sinn mit diesem Worte verbinden, niemand den großen Wert desselben inniger schätzen als ich selbst. Ehre ist in der Tat die erste Eigenschaft eines braven Kerls, und ohne sie wird gewiß kein Mensch im Schlachtfelde oder, wie es andre ausdrücken, auf der Landstraße groß werden. Aber ach! Ist es nicht jammerschade, daß ein Wort von solcher Kraft, von solchem Nutzen so verschiedener und schwankender Anwendungen[40] fähig ist, daß kaum vier Leute eine und ebendieselbe Sache damit meinen? Verstehen einige nicht unter Ehre: Großmut, Menschlichkeit, und was der Schwächling Tugend nennt? Wie? Müßten wir sie dann nicht allen Großen, allen Edlen und Braven, den Zerstörern ganzer Städte, den Plünderern reicher Provinzen und den Eroberern ganzer Königreiche absprechen? Waren sie nicht Männer von Ehre? Und doch verachteten sie diese Armseligkeiten, von denen ich eben sprach. Wenn ich nicht irre, schließen noch andre den Begriff von Ehrlichkeit mit in den Begriff von Ehre ein: und sollen wir demzufolge behaupten, daß ein Mann, der seinem Nächsten vorenthält, was ihm von Gott und Rechtswegen zukommt, oder der ihn sein Eigentum mit Gefahr seines Lebens abnimmt, kein Mann von Ehre sein? Der Himmel verhüte, daß ich solchen Unsinn in dieser oder jeder andern Gesellschaft behaupten sollte. Besteht das Wesen Ehre in Wahrheit? Nein: denn unsre Ehre wird ja nicht beleidigt, wenn wir eine Lüge sagen, sondern nur dann, wenn wir sie uns vorwerfen lassen. Beruht etwa die Ehre auf den sogenannten Kardinaltugenden? Mit dieser Voraussetzung würde ich Ihrem gesunden Menschenverstand zu nahe treten; denn wir sehen ja täglich Leute von Ehre, die keine dieser Tugenden besitzen. Worin besteht denn das Wort Ehre? Allein in sich selbst.

Ein Mann von Ehre ist jeder, den man einen Mann von Ehre nennt, und so lange er so heißt, bleibt er es auch wirklich, aber keinen Augenblick länger. Mag er tun und treiben, was er will – nichts auf der Welt kann seine Ehre beeinträchtigen. Sehen Sie sich im gemeinen Leben um: solange der Ritter von der Industrie seine Profession glücklich treibt, ist er ein Mann von Ehre; aber er ist es nicht mehr, wenn er im Gefängnis steckt oder am Galgen zappelt. Und wo schreibt sich dieser Unterschied her? Doch nicht von seinen Handlungen? Die kennt man öfters in der Epoche seiner Blüte ebensogut als hernach; er rührt bloß daher, daß die Menschen – ich meine seinen Anhang – ihn in seiner ersten Periode einen Mann von Ehre nennen und in diesen Namen in der letzteren verweigern.

Lassen Sie uns also die Anwendung machen und sehen, inwiefern Bagshot die Ehre des andern Herrn angegriffen hat. Er hat ihn einen Taschendieb genannt. Freilich, wenn man dieses Wort in der strengsten Bedeutung nehmen und recht beim Lichte besehen wollte, möchte es wohl ein wenig ehrenrührig scheinen. Lassen Sie uns dies nun auch als eine Beleidigung seiner Ehre ansehen, so wird Herr Bagshot ihm dennoch keine andere Genugtuung geben[41] können, als daß er ihm geradezu und ausdrücklich versichert, er halte ihn für einen Mann von Ehre.«

Der Beleidigte sagte, er überlasse die Sache Herrn Wilds Entscheidung und wolle sich mit jeder Genugtuung zufrieden geben, die er ihm zugestände. Bagshot sagte: »Erst mag er mir mein Geld wieder ausbeuteln, dann will ich ihn herzlich gern einen Mann von Ehre nennen.« Jener beteuerte nun, er hätte nichts von ihm, und Snap bezeugte dies, indem er sagte, er habe die ganze Zeit über kein Auge von ihm verwandt. Aber Bagshot blieb hartnäckig bei seiner Meinung, bis Wild endlich mit einem fürchterlichen Schwur versicherte, jener habe keinen Heller genommen, und zugleich erklärte, wer das Gegenteil behaupte, strafe ihn Lügen und hätte es mit ihm zu tun. Der Ausspruch dieses großen Mannes hatte denn auch so viele Gewalt über Bagshot, daß er sich beruhigte und die Versöhnungszeremonie einging; und auf diese Weise ward dieser Streit aufs glücklichste beigelegt, der sonst für beide Teile, vorzüglich da sie so genau auf ihre Ehre hielten, die schrecklichsten Folgen hätte haben können.

Freilich war Herr Wild bei der ganzen Sache ein wenig interessiert; er hatte nämlich selbst den Ehrenmann, dessen Verteidigung er übernommen, in Tätigkeit gesetzt, auch den größten Teil der Beute richtig bekommen; und was das günstige Zeugnis des Herrn Snap betraf, so pflegte sich die Liebe zu seinen Freunden sehr oft in einem so hohen Grade bei ihm zu äußern. Er sagte immer, er müßte ein erbärmlicher Mensch sein, der sich einem Freunde zu Gefallen nicht über einen kleinen Meineid hinwegsetzen könnte.

Quelle:
-, S. 39-42.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Der Waldsteig

Der Waldsteig

Der neurotische Tiberius Kneigt, ein Freund des Erzählers, begegnet auf einem Waldspaziergang einem Mädchen mit einem Korb voller Erdbeeren, die sie ihm nicht verkaufen will, ihm aber »einen ganz kleinen Teil derselben« schenkt. Die idyllische Liebesgeschichte schildert die Gesundung eines an Zwangsvorstellungen leidenden »Narren«, als dessen sexuelle Hemmungen sich lösen.

52 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon