Vierzehntes Kapitel
Worin die Geschichte menschlicher Größe fortgesetzt wird.

[42] Alles war nun wieder ins Geleise gerückt. Weil man aber gewisser Ursachen wegen, die wir auch eben angedeutet, nicht weiterspielen konnte, setzte sich die Gesellschaft heiter und vergnügt zum Zechen nieder. Sie tranken Gesundheiten, schüttelten sich die Hände und äußerten die wärmsten Freundschaftsversicherungen gegeneinander. Alles dieses ward auch durch die verschiedenen Pläne, über denen ein jeder von ihnen brütete, nicht im mindesten unterbrochen, ungeachtet sie alle darauf bedacht waren, diese Plänchen auszuführen, sobald nur der Wein die nötige Wirkung gegeben[42] habe und diesem oder jenem von der Gesellschaft in den Kopf gestiegen sei. Bagshot und sein Antagonist dachten beide darauf, sich einander zu berauben; Herr Snap und der ältere Herr Wild grübelten nach, wie sie ihren Gefangenen noch mehr Gläubiger auf den Hals schicken könnten; der Graf hoffte das Spiel zu erneuern, und unser Held sann auf Mittel und Wege, den Bagshot fortzuschaffen, das ist: ihn bei der ersten Gelegenheit an den Galgen zu bringen. Aber keiner von diesen großen Entwürfen ließ sich auf der Stelle ausführen. Denn Herr Snap wurde nunmehr in wichtigen Geschäften, wozu er ebenfalls die Hilfe seiner beiden Freunde brauchte, abgerufen, und weil er die Behendigkeit des Grafen, von welcher er schon einmal ein Pröbchen erlebt, nicht recht trauen wollte, erklärte er, er müsse für jetzt zuschließen. Hier, lieber Leser müssen wir innehalten und ein kleines Gleichnis machen, falls du nichts dagegen hast.

Wie, wenn der Jäger nach geendeter Jagd die schnellfüßigen Hunde wieder zum Stalle treibt, sie alsdann mit hängenden Ohren und Schwänzen langsam fortschleichen, währenddessen er ihnen mit der Peitsche auf dem Nacken ist, ihre üble Laune nicht achtet und nicht eher ruht, als bis er sie in dem Stalle verschlossen hat, und dann erst wieder geht, wohin es ihm beliebt: so stiegen auch der Graf und Bagshot mit sauern Mienen und langsamen Schritten die Treppe hinauf, woselbst Herr Snap und sein Gefolge sie in sichere Verwahrung brachten, die Türe verschlossen und flugs und fröhlich ihre Wege gingen. Jetzt, lieber Leser, wollen wir der lobenswürdigen Sitte der Welt zufolge diese unsere beiden Freunde sich selbst überlassen und dem Glücke unseres Helden nachgehen, der mit einem für große Seelen sehr natürlichen Abscheu vor Zufriedenheit und Ruhe seine Pläne immerfort erweiterte; denn diese rastlose Tätigkeit, dieser edle Heißhunger, der durch Futter immer nur wächst und zunimmt, ist die erste und wesentlichste Eigenschaft aller großen Geister, denen es auf ihrem Wege zur Größe ebenso geht, wie den Reisenden auf ihrer Passage über die Alpen, oder, wenn dies Gleichnis zu weit hergeholt ist, wie einem, der westwärts über die Hügel von Bath reist. Er kann das Ende seiner Reise nicht mit einem Male übersehen; aber mit edler Standhaftigkeit von Tälern zu Tälern, von Hügeln zu Hügeln schreitend, fest entschlossen, die Höhe zu erreichen, die ihm vor Augen liegt, mögen auch die Straßen noch so kotig sein, langt er – endlich vor einer erbärmlichen Schenke an, wo er weder Speise und Trank, noch Bequemlichkeit und Ruhe findet.

Hast du, lieber Leser, jemals eine Reise in diese Gegenden[43] gemacht, so wird dir hoffentlich die eine Seite meines Gleichnisses klar genug einleuchten; aber glaube mir, wenn die andre nicht so anschaulich ist, so kommt es bloß daher, daß du keine Kenntnis von großen Männern und nie Gelegenheit oder Muße gehabt hast, die Schicksale solcher Helden zu studieren, die dem nachstreben, was man gemeiniglich Größe nennt. Denn wahrhaftig: hättest du nicht allein alle Gefahren in Rechnung gebracht, denen sie auf ihrem Fortgang täglich und stündlich unterworfen sind, sondern auch gleichsam durch ein Vergrößerungsglas das kleine Fleckchen Glückseligkeit wahrgenommen, was selbst das Erreichen ihrer Wünsche ihnen gewährt, so würdest du mit mir das traurige Schicksal dieser großen Männer beweinen, dieser Männer, denen es die Natur so recht vor die Stirn geschrieben, daß die ganze übrige Menschheit nur zu ihrem Nutzen und Vorteil da ist, und du würdest dich daher nicht entbrechen können, auszurufen: »Es ist doch jammerschade, daß diejenigen, für welche alle übrigen Menschen schwitzen und arbeiten, sich zerhauen und zerprügeln, plündern und zugrunde richten lassen, selbst so wenig Vorteil von dem Elend ziehen können, das sie andern verursachen.«

Was mich betrifft, so sehe ich mich selbst als ein Geschöpf von der niedrigen Menschenklasse an, die bloß zum Behuf dieses oder jenes großen Mannes geboren ist, und wüßte ich nur gewiß, daß die Arbeit und selbst der Ruin von tausend solchen Gewürmen, als ich bin, zu meiner Glückseligkeit etwas beitragen könnten, so wollte ich mit frohem Mute ausrufen: Sic, sic juvas. Aber wenn ich einen großen Mann Hungers sterben und vor Kälte zittern sehe in der Mitte von fünfzig Tausenden, die eben diese Übel bloß zu seiner Unterhaltung dulden; wenn ich einen anderen gewahr werde, dessen Geist ein verworfener Sklave seiner eigenen Größe ist, und der mehr durch das Gewicht derselben gedrückt und gequält wird, als alle seine Vasallen; wenn ich ganze Nationen endlich ausgerottet sehe, bloß um dem großen Manne Tränen auszupressen, freilich nicht, weil er so viele Menschen ausgerottet, sondern bloß, weil er nicht noch mehr ausrotten kann: dann wär ich fast geneigt zu wünschen, die Natur hätte uns mit diesen ihren Meisterstücken verschont und es wäre nie ein großer Mann in die Welt gekommen.

Doch fahren wir mit unserer Geschichte fort, die uns unstreitig besseren und nützlicheren Unterricht gewähren wird, als dies langweilige Geschwätz. Wild hatte sich nun in seinen Schlafkeller verfügt und stellte seine Betrachtung über den Nutzen an, der ihm heute aus dem Schweiß und der Mühe andrer Leute zugewachsen[44] war: nämlich erst durch Herrn Bagshot, der zu seinem Besten den Grafen ausgeplündert hatte, dann durch den andren Herrn, der zu eben diesem Behuf Bagshots Taschen wieder ausgeleert. Dann begann er so mit sich selbst zu räsonieren: »Die Politik ist nichts andres, als die Kunst zu multiplizieren; die beiden kleinen Worte Mehr oder Weniger bestimmen die Grade der Größe. Man muß das Menschengeschlecht in zwei große Klassen teilen, nämlich in solche, die nur ihre eignen Hände brauchen, und in solche, die andrer Leute Hände in Bewegung setzen. Die ersten sind der Pöbel und der niedrige, die letztem aber der edlere Teil der Schöpfung. Die Kaufleute bedienen sich daher sehr weislich der Redensart: Hände in Bewegung setzen, und je mehr sie dieses zu tun imstande sind, um so höher schätzen sie sich. Und in der Tat würden auch die Kauf- und Handelsleute auf einen beträchtlichen Grad von Größe Anspruch machen können, wenn wir nicht noch eine Unterabteilung machen und diejenigen, welche viele Hände zum Nutzen des Staats, worin sie leben, in Bewegung setzen, von solchen Leuten unterscheiden müßten, die dies bloß zu ihrem eigenen Besten, ohne Rücksicht auf die Gesellschaft tun. Zur ersten Klasse gehört der Landmann, der Fabrikant, der Kaufmann, und auch vielleicht der Adel. Der Landmann muß seinen Acker bauen und zur Erzeugung der Naturprodukte anderer Leute Hände brauchen. Der Fabrikant muß diese Produkte bearbeiten, und der Kaufmann sie für den Überfluß fremder Nationen Umtauschen lassen, damit jedes Land und jedes Klima die Produkte der ganzen Erde genießen möge. Auch der Edelmann muß zur Verschönerung seines Landes, zur Aufrechterhaltung der Gesetze und zum Wachstum der Künste und Wissenschaften das Seinige beitragen und zu diesem Behuf fremde Hände in Bewegung setzen.

Nun kommen wir zu der zweiten Abteilung, wohin wir alle diejenigen rechnen, die andrer Leute Hände einzig und allein zu ihrem eignen Besten in Bewegung setzen; dies ist jene edle große Menschenklasse, zu welcher die Eroberer, Despoten, Staatsmänner und Beutelschneider gehören. Diese unterscheiden sich in Rücksicht der Größe bloß darin, daß der eine mehr, der andre weniger Hände in Arbeit setzt. Alexander war bloß darum größer als ein Anführer einer arabischen oder tatarischen Horde, weil er an der Spitze eines mächtigeren zahlreicheren Heeres stand. Warum ist ein Taschendieb kleiner, als jeder andere große Mann? Weil er bloß seine eignen Hände braucht; aber da er sie zu seinem eignen Vorteil braucht, muß man ihn auch nicht mit dem Pöbel vermengen. Vorausgesetzt also, daß ein Langfinger ebensoviele Werkzeuge hätte[45] wie ein Premierminister: wäre er dann nicht ebenso groß wie irgend ein Premierminister auf der ganzen Welt? Um groß zu werden, darf ich mir also nur eine Bande zulegen, von welcher ich der Mittelpunkt bin. Diese Bande soll für mich allein stehlen und von mir einen sehr mäßigen Lohn bekommen; die kühnsten und frevelhaftesten derselben will ich zu meiner Gunst erheben und die übrigen von Zeit zu Zeit hängen oder aus dem Lande transportieren lassen; und so will ich (denn dies ist unstreitig der höchste Grad Vortrefflichkeit, zu dem ein Ritter von der Industrie nur gelangen kann) die zum Schutz und Vorteil der Gesellschaft abzweckenden Gesetze zu meinem eignen Besten verdrehen.«

Der Ausführung dieses seines Lieblingsplanes stand nun nichts andres im Wege, als das, worauf sowohl der Anfang wie das Ende aller menschlichen Entwürfe beruht: Geld. Von diesem Artikel besaß er nur sechsundfünfzig Guineen; denn soviel war ihm von der doppelten Beute, die ihm Bagshot gegeben, nur übrig geblieben, und diese Kleinigkeit schien ihm nicht hinlänglich für ein großes Unternehmen. Er beschloß daher, sich auf der Stelle in ein Spielhaus zu verfügen, nicht sowohl in der Absicht, sein Glück im Spiel zu versuchen, als vielmehr mit dem festen Vorsatz, die sicherste Partie zu ergreifen und einen von den glücklichen Spielern auf dem Heimwege anzufallen. Doch meinte er bei seiner Ankunft, er könne es auch wohl einmal auf die Würfel wagen und sein kühnes Unternehmen auf den Notfall versparen. Er setzte sich also zum Spiel nieder, und da die Göttin des Glücks bei Verteilung ihrer Gunst ebensowenig auf große Geistesgaben zu sehen pflegt, als alle übrigen Weiber, so verlor unser Held jeden Pfennig, den er in der Tasche hatte. Indessen ertrug er diesen Verlust mit großer Standhaftigkeit und zog auch nicht eine sauere Miene dazu. In der Tat, er sah das Geld bloß an, als wenn es ihm auf eine kurze Zeit geliehen oder bei ihm wie bei einem Bankier in Verwahrung gegeben wäre. Jetzt beschloß er stehendes Fußes seinen sicheren Plan auszuführen, und indem er seine Augen in der Stube umherwarf, ward er einen Menschen gewahr, der sehr traurig dasaß und der ihm daher ein recht taugliches Werkzeug zu seinem Vorhaben schien. Kurz – damit wir uns bei solchen unwichtigen Dingen nicht zu lange verweilen: Wild ließ sich mit diesem Menschen ins Gespräch ein, sondierte ihn, schlug ihm die Sache vor und fand ihn auch sogleich bereit und willig. Nachdem sie sich also ihren Mann ausgesucht hatten, und zwar einen, der ihrem Vermuten nach diesen Abend den größten Coup gemacht hatte, legten sie sich in den Hinterhalt, um den Feind beim Nachhausegehen zu überfallen. Dies[46] geschah denn auch, er ward richtig überrumpelt, auf die Erde geworfen und geplündert. Aber leider lohnte die Beute kaum der Mühe. Denn wie es scheint, spielte dieser Ehrenmann nicht für seine eigene Rechnung und hatte seinen Gewinn bereits gehörigen Orts abgegeben; denn er hatte nicht mehr als zwei Schillinge in der Tasche, als er angepackt wurde. Dies war für unsern Wild ein fürchterlicher Querstrich und wird unserm Leser vermutlich ebenso schmerzlich sein, wie uns selbst. Es macht uns in der Tat unfähig, für jetzt weiter fortzufahren; daher wollen wir ein wenig Atem schöpfen und hiermit das erste Buch schließen.[48]

Quelle:
-, S. 42-49.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Klopstock, Friedrich Gottlieb

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Von einem Felsgipfel im Teutoburger Wald im Jahre 9 n.Chr. beobachten Barden die entscheidende Schlacht, in der Arminius der Cheruskerfürst das römische Heer vernichtet. Klopstock schrieb dieses - für ihn bezeichnende - vaterländische Weihespiel in den Jahren 1766 und 1767 in Kopenhagen, wo ihm der dänische König eine Pension gewährt hatte.

76 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon