Erstes Kapitel
Der Charakter des einfältigen Gesindels und wozu es imstande ist.

[49] Eine Ursache, warum wir unser erstes Buch gerade oben geschlossen haben, ist diese, daß wir uns für jetzt genötigt sehen, Charaktere von einer ganz andern Art aufzuführen, als diejenigen, mit denen wir uns bisher beschäftigt haben. Diese Leute gehören zu der anmutigen Menschenklasse, die man spottweise gutmütig zu nennen pflegt und welche die Natur ungefähr in eben der Absicht in die Welt gesetzt, in welcher man kleine Fische in einen Karpfenteich setzt, damit sie nämlich von diesen gefräßigen Wasserhelden mögen verschlungen werden.

Doch fahren wir mit unsrer Geschichte fort. Nachdem Wild die Beute wie gewöhnlich geteilt, das ist drei Viertel davon an sich genommen hatte, wollte er sich in einer sehr üblen Stimmung zur Ruhe begeben, als er von ungefähr einen jungen Mann antraf, der vormals sein Schulkamerad und ein sehr guter Freund von ihm gewesen war. Man denkt sonst gewöhnlich, daß Gleichheit der Sitten und Denkart vieles zur Freundschaft beizutragen pflegt; aber an diesen beiden Burschen konnte man das Gegenteil sehen: denn war unser Wild habsüchtig und unerschrocken, so kam bei dem andern immer mehr seine Haut als seine Börse in Betracht. Wild bezeugte daher oft ein gewisses edelmütiges Mitleiden mit diesem Naturfehler seines Freundes und zog ihn aus mancher Verlegenheit, worein er ihn freilich allemal selbst gebracht hatte, indem er Schuld und Prügel auf sich nahm. Freilich ließ er sich immer bar dafür bezahlen; aber es gibt Leute, die sich bei dem besten Handel, den man treffen kann, immer noch einen Dank obendrein zu verdienen wissen. So ging es auch hier: denn dieser arme Junge glaubte wunder wieviel Verbindlichkeiten er unserm Wild schuldig wäre und hatte daher eine außerordentliche Zuneigung zu ihm gefaßt, deren Spuren in seiner Seele selbst eine Trennung von vielen Jahren nicht hatte verwischen können. Daher erkannte er[49] unsern Wild kaum, als er ihn auch auf die freundschaftlichste Weise anredete und ihn, da es beinahe neun Uhr war, zum Frühstück einlud, wozu sich denn unser Held auch nicht lange nötigen ließ.

Der junge Mann war ungefähr von Wilds Alter und hatte sich eben als Juwelier niedergelassen, auch sein ganzes kleines Vermögen in diesen Handel gesteckt; überdem war er an ein liebenswürdiges Frauenzimmer verheiratet, von der er bereits zwei Kinder hatte. Da unser Leser näher mit diesem Manne bekannt werden muß, so ist es nicht mehr als billig, daß wir ihm hier eine kleine Skizze von seinem Charakter geben, zumal da sie dem edlen und großen Charakter unsres Helden zur Folie dienen mag und der eine bloß in die Absicht in die Welt gesetzt zu sein scheint, damit der andre seine Heldentaten an ihm üben könnte. Herr Thomas Hartfree, denn so hieß unser Mann, war von einer ehrlichen und offenen Gemütsart. Er gehörte zu den Leuten, die nur aus Erfahrung und nicht aus Instinkt lernen können, daß es so ein Ding wie Heuchelei und Betrug in der Welt gibt, und die sich folglich im fünfundzwanzigsten Jahre leichter prellen und anführen lassen, als ein alter schlauer Kauz. Sein Herz hatte außerordentlich viele schwache Seiten: er war gutmütig, freundschaftlich und dachte sehr edel. Freilich nahm er dann und wann zu wenig Rücksicht auf strenge Gerechtigkeit; denn er hatte verschiedenen Leuten von seiner Bekanntschaft beträchtliche Summen erlassen, bloß weil sie sie nicht bezahlen konnten: hatte auch einem Bankerottierer wieder auf die Beine geholfen, weil er wußte, daß es bei seinem Konkurs ehrlich zugegangen war und er bloß durch Unglück und nicht aus Betrug oder Nachlässigkeit falliert hatte. Überhaupt war er so ein alberner Mensch, daß er sich niemals die Unwissenheit seiner Kunden zunutze machte und sich immer an einem mäßigen Gewinn genügen ließ; dies konnte er freilich seiner Großmut ungeachtet um so eher tun, weil er sehr sparsam lebte und seine Ausgaben bloß auf ein fröhliches Abendessen und ein Glas Wein beschränkte, womit er dann und wann seine Freunde zu bewirten pflegte, und zwar im Beisein seiner Frau, die ungeachtet ihrer Schönheit ein kleingeisterisches, armseliges, häusliches Geschöpf war, sich mit nichts als mit ihrem Hauswesen beschäftigte, ihre ganze Glückseligkeit in ihrem Mann und ihren Kindern fand und nur selten aus dem Hause ging, außer wenn sie hier oder da in der Nachbarschaft einen Besuch abstattete oder etwa zweimal im Jahr in Gesellschaft ihres Mannes ins Schauspiel ging, wo sie immer nur im Parterre zu sitzen pflegte.

Zu diesem einfältigen Weibe brachte der ebenso einfältige Kerl[50] den großen Wild und schwatzte ihr ein Langes und Breites von ihrer Bekanntschaft auf Schulen und von den vielen Verbindlichkeiten vor, die er gegen seinen Freund hätte. Kaum hatte die dumme Gans dies vernommen, so leuchtete ein gewisses Wohlwollen aus ihren Augen hervor, das aus dem Herzen entspringt und wovon sich große und edle Seelen, deren Herzen nur von Wut und Rache glühen, durchaus keine Vorstellung machen können. Es ist daher kein Wunder, wenn unser Held Mistreß Hartfrees unschuldige Gefälligkeit für den Freund ihres Mannes als die edle und erhabene Leidenschaft ansah, welche die Wangen einer modernen Heldin färbt, wenn ein Oberster so gütig ist, für heute mit der wohlbesetzten Tafel seine bürgerlichen Gläubiger und morgen mit einem Plätzchen in seinem Bette fürlieb zu nehmen. Wild erwiderte also das Kompliment mit seinen Augen und zwar, wie er es sich ausgelegt, und gleich nachher brach er in große Lobeserhebungen über ihre Schönheit aus, womit sie vielleicht – denn sie blieb immer ein Weib, obwohl ein gutes Weib – ebensowenig unzufrieden war, wie ihr Mann.

Als sie gefrühstückt hatten und die gute Frau wieder an ihre Geschäfte gegangen war, begann Wild, der die schwache Seite eines Menschen gleichsam auf den ersten Blick weg hatte und der außer den Erfahrungen, die er schon in früherer Jugend von dem guten oder vielmehr törichten Charakter seines Freundes gemacht, nun noch mehrere Züge von Freundschaft und Edelmut in seiner Seele entdeckt hatte, über die Begebenheiten ihrer Kindheit zu schwatzen und erinnerte ihn bei jeder Gelegenheit an die Freundschaftsproben, die er ihm, wie wir oben gemeldet, erwiesen haben wollte; dann brach er in die größten Versicherungen seiner ewigen Zuneigung und seiner Freude über die Erneuerung ihrer Bekanntschaft aus. Zuletzt sagte er ihm, er glaubte ihm einen Dienst tun zu können, indem er ihm die Kundschaft eines vornehmen Mannes verschaffen wollte, der im Begriff wäre, zu heiraten: »Und hat er sich nicht schon mit einem andern Juwelier eingelassen, so werd ich ihn gewiß dahin vermögen, daß er seine Braut mit Juwelen aus Ihrem Laden bedient.«

Hartfree dankte seinem Freunde aufs verbindlichste und sie trennten sich endlich, nachdem Wild alle dringenden Bitten seines Freundes, doch bei ihm zu Mittag zu essen, abgeschlagen hatte.

Doch eben fällt uns ein, daß es unsern Leser befremden könnte (welches in Geschichten dieser Art ebenso selten nicht ist), wie der ältere Herr Wild imstande gewesen sein sollte, seinen Sohn bei seinen geringen Vermögensverhältnissen in eine ansehnliche Schule[51] zu tun; wir sehen uns daher genötigt, mit der Nachricht herauszurücken, daß Herr Wild ehedem ein wohlhabender Handelsmann gewesen, aber durch verschiedene Unglücksfälle – als da sind ausschweifendes Leben und Spiel – so heruntergekommen war, daß er das ehrsame Amt annehmen müßte, wovon wir oben gesprochen.

Nun, da wir diesen Skrupel aufgelöst, wollen wir nach unserm Helden sehn, der sich stehendes Fußes zum Grafen begab und diesem, nachdem er zuvörderst die Präliminarien betreffend die Teilung der Beute mit ihm abgeschlossen, von einem Projekt Nachricht gab, das er gegen Hartfree im Sinne hätte. Sie brüteten nun gemeinschaftlich über die Mittel zur Ausführung derselben, wozu doch nur erforderlich war, daß der Graf seine Freiheit erhielt. Geld war der erste und in der Tat der einzige Punkt, der hierbei in Betracht kam – freilich nicht sowohl, um seine Schulden zu bezahlen (denn das war er gar nicht willens), sondern vielmehr, um ihm Bürgen zu erkaufen; denn Herr Snap hatte viel zu gute Anstalten getroffen, als daß man sich nur mit der Möglichkeit einer heimlichen Flucht hätte schmeicheln können.

Quelle:
-, S. 49-52.
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