Erstes Kapitel.

[121] Enthält zehn Seiten beschriebenes Papier.


Obgleich unser Werk durch den Stempel der Wahrheit vor allen jenen schalen Romanen kennbar sein soll, in welchen es von solchen Mißgeburten wimmelt, die keineswegs Geschöpfe der Natur, sondern eines leeren Gehirns sind und deswegen von einem vortrefflichen Kunstrichter zum alleinigen Gebrauch der Pastetenbäcker und Pfefferkrämer empfohlen sind, so möchten wir doch auch auf der andern Seite die mindeste Aehnlichkeit mit jener Gattung von Geschichte vermeiden, welche, wie ein berühmter Poet dafür hält, nur zum Nutzen der Bierbrauer geschrieben worden, weil ein jeder, der sie lesen will, allemal eine Kanne starkes Bier zur Hand haben sollte:


While – History with her comrade Ale

Sooths the sad series of her serious tale.


Würgt an der Mähr', die ihr Kamrad, der Gerstensaft,

So trocken, dürr sie ist, ihm schlingbar macht.


Denn da dies (wenn wir dem verstorbenen Butler trauen können, welcher in dem englischen Bier, Ale genannt, die Inspiration findet,) der neuern Geschichtschreiber Getränke, ja vielleicht gar ihre Muse ist: so muß es auch der Labetrunk der Leser sein, weil jedes Buch in eben dem Geiste und eben der Stimmung gelesen werden muß, worin es geschrieben ward. Deswegen sagte der berühmte Autor des Hurlotrumbo einem gelehrten Bischof, die Ursache, warum Seine Magnifizenz der Vortrefflichkeit seines Werkes keinen Geschmack abgewinnen könne, wäre, daß Dieselben es nicht mit einer Geige in der Hand gelesen hätten, welches Instrument er beständig in der seinigen gehabt, so lang er an dessen Komposition gearbeitet hätte.

Damit also unsre Schrift in keine Gefahr geraten möge, mit den Tagewerken jener Historiker eine Aehnlichkeit zu gewinnen, so haben wir jede Gelegenheit wahrgenommen, durch das Ganze hindurch Gleichnisse, Malereien und andere dergleichen Arten von[121] poetischen Zieraten einzuweben. Diese Dinge sind dann in vollem Ernste bestimmt, die Stelle des besagten Weizen- und Gerstensaftes zu ersetzen und das Gemüt des Lesers wacker zu erhalten, wenn der Schlummer, dem bei einem langen Werke sowohl der Leser als der Verfasser ausgesetzt sind, sich herankriecht und ihn beschleichen will. Ohne diese Arten von Unterbrechung würde die beste Erzählung simpler Thatsachen den Leser überwältigen; denn ich wüßte nichts in der Welt – das ewige Wachen ausgenommen, welches Homer dem mächtigen Zeus zuschreibt – das nicht unter einer Zeitung von einigen Heften dahinsinken müßte.

Mag der Leser bestimmen, mit wie viel Kunstsinn wir die verschiedenen Gelegenheiten erhascht haben, jene Zieraten in unserem Werke anzubringen. So viel wird man wenigstens einräumen, daß keine schicklicher sein kann als die gegenwärtige, da wir im Begriff stehen, eine wichtige Person auf unserer Bühne auftreten zu lassen; und zwar keine geringere als die Hauptheldin dieses heroischen, historischen, reim-und versefreien Gedichts. Wir haben also für diensam erachtet, hier den Geist des Lesers auf ihren Empfang dadurch vorzubereiten, daß wir ihn mit allen den lieblichen Bildern anfüllen, die wir dem Angesicht der Natur nachzeichnen können. Und diese Methode können wir mit manchem Beispiele rechtfertigen. Erstlich ist es eine ganz bekannte und auch geläufige Kunst bei unsern tragischen Dichtern, welche selten ermangeln, ihre Zuschauer auf den Empfang ihrer Hauptpersonen vorzubereiten.

Deswegen machen allemal, wenn der Held auftritt, die Pauken und Trompeten einen Lärmschlag, um in der Versammlung einen martialischen Geist zu erregen und ihre Ohren an den hohlen Klang der, gleich einer Götterstimme ertönenden Reden zu gewöhnen, welche Lockens blinder Mann, ohne eben gröblich zu irren, mit dem schmetternden Schalle einer Trompete verglichen haben würde. Ferner, wenn Liebende auftreten, werden sie oft von sanfter Musik begleitet, entweder um die Zuhörer mit allem Wonnegefühl der zärtlichen Minne zu sanfter Milde zu stimmen, oder sie in den Schlummer einzuwiegen und zu säuseln, in welchen sie höchst wahrscheinlicherweise der folgende Auftritt versenken wird.

Und nicht nur die dramatischen Dichter, sondern auch die Lohn- und Brodherren dieser Dichter, die Theaterprinzipale, scheinen um das Geheimnis zu wissen; denn außer den vorbesagten Heerpauken u.s.w., welche die Ankunft des Helden verkünden, wird dieser auch die meiste Zeit noch von einem prächtigen Aufzuge eines halben Dutzends Theatertischler und Schneider begleitet. Und wie nötig diese bei seiner Erscheinung erachtet werden, mag man aus folgender Theateranekdote schließen.[122]

König Pyrrhus saß in einem Bierhause, das ans Theater stieß, und verzehrte seine Vesperkost, als man ihm ansagte, sein Auftritt käme. Der Held, welcher seine Hammelskeule nicht gerne aufgeben und doch auch nicht gerne den Unwillen des Herrn Wilks (seines Bruder Co-Prinzipals) auf sich laden wollte, wenn er das Auditorium harren ließe, hatte diese Paradeurs bestochen, sich nicht bei der Hand finden zu lassen. Derweil also Herr Wilks herumdonnerte: »wo stecken die vermaledeiten Gesellen, die vorm König Pyrrhus paradieren sollen?«, verzehrte dieser Monarch ganz ruhig seinen Schöpsenbraten und das Auditorium war bei aller seiner Ungeduld genötigt, sich, bis er kam, die Zeit mit Musik vertreiben zu lassen.

Gerade herauszugehen, so gestehe ich meinen großen Argwohn, daß die Politiker, welche gewöhnlich eine feine Nase haben, etwas von dem Nutzen dieses Kunstgriffs gewittert haben mögen. Nach meiner Ueberzeugung zieht die erhabene obrigkeitliche Person, Mylord Mair von London, einen großen Theil des hohen Ansehens, welches ihm das Jahr seiner Regierung hindurch anklebt, aus dem mancherlei Gepränge, welches seinem Pomp vorausgeht. Ja, ich muß gestehen, daß ich selbst, ob ich gleich eben nicht gar zu leicht durch leeren Schauprunk zu fangen bin, mich eines ziemlichen Eindrucks von großem vorgehenden Staate nicht habe erwehren können. Wenn ich einen Mann in einer Prozession daherstolzieren sah, hinter andern her, deren Geschäft bloß darin bestand, vor ihm her zu schreiten, so habe ich eine höhere Meinung von seiner Würde bekommen, als ich von ihm hatte, wenn ich ihn in gewöhnlichen Lagen und Um ständen sah. Allein noch eins kann ich anführen, das sich ganz genau auf mein Vorhaben paßt. Dies ist die Gewohnheit, ein Sträußermädchen zu bestellen, welches die prächtige Feier des Krönungstages eröffnen und den Weg mit Blumen bestreuen muß, bevor die Großen des Reichs ihre Prozession beginnen. Die Alten hätten gewiß die Göttin Flora beschworen, das Geschäft zu verrichten, und ihren Priestern und Politikern würde es keine Schwierigkeit gemacht haben, das Volk von der wirklichen Gegenwart der Göttin zu überreden, obgleich eine bloße Sterbliche ihre Person vorgestellt und ihr Geschäft verrichtet hätte. Wir aber haben keine solche Absicht unsern Lesern etwas auf den Aermel zu heften, und deswegen mögen diejenigen, welche mit der heidnischen Theologie nichts zu thun haben wollen, unsere Göttin nach Belieben in obbesagtes Sträußermädchen verwandeln. Unsere Absicht mit kurzen Worten ist, unsre Heldin mit der größesten Feierlichkeit, die in unsern Kräften steht, mit einer Erhabenheit des Stils und mit allen Umständen einzuführen, welche dazu beitragen können, die Ehrerbietung des Lesers zu erhöhen. In der That möchten[123] wir, aus gewissen Ursachen, unsrem Leser, wenn er sich eines Herzens bewußt ist, raten, nicht weiter fort zu lesen, wären wir nicht versichert, so liebenswürdig auch das Porträt unsrer Heldin erscheinen wird, weil es wirklich nach der Natur gemalt ist, werden trotz dem manche unsrer schönen Landsmänninen würdig erfunden werden, die edelsten Leidenschaften einzuflößen, und jeder Idee von weiblicher Vollkommenheit entsprechen, deren unser Pinsel fähig ist.

Und nun gehen wir ohne weitere Vorrede über zu unserem nächsten Kapitel.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 1, S. 121-124.
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