Neuntes Kapitel.

[151] Nicht gar zu friedsamen Inhalts.


Molly hatte sich nicht so bald wieder in ihre gewöhnlichen Fetzen geworfen, als die Zungen ihrer Schwestern gewaltiglich über sie herfuhren, der ältesten vorzüglich, welche ihr sagte: es sei ihr ganz recht geschehen. »Was hat sie die Ausverschämtheit und zieht ein Putzkleid an, das Vrölen Western der Mutter keschenken hat. Wenn's ja Eens von uns sollt' tragen,« sagte sie, »sollt' ich meenen, währ ich's; mihr käm's von Gotts und Rechtsweg'n zuhe. Aber näh, da meent se, Wunder was m'r Pisse! 's käm' ihrer kroossen Schenhet alleen' zuhe; denkst wohl kahr, wär'st scheen Rahel alleene.« »Kriegt'r doch emaal den Scherben von Spiegelglas vom Thresorchen!« sagte eine andre; »'ch wollt' mer toch woll erst das Plutt vons Kesicht' runner waschen, eh 'ch von mein Scheensein[151] schwätzte.« »Pesser thät's, 's hätt geholten was ter Pfarrer kesogt,« schrie ihre älteste Schwester, »und nicht uf te Mannsberschoonen kehorcht.« »Wohl wahr!« seufzte die Mutter aus tiefer Brust, »wohl wahr! Uns alle medenander hat's in Schimpf un Schant kebracht. 'S ist tie erpärmlichste Huhre, tie merr nach in tär Vamilje erlebt hahn.« – – »Nah, tas laß ich merr och nicht so uf te Nase häft'n; Mutter! Worzu's schält'n?« schrie Molly. »Merr wiss'n jo ooch, taß Mutter med mihner ältsten Schwäster ta nedder kamb, als se nach 'er Hoochzig sprieben: un ta acht Tage umme waren. Merr wiss'ns rächt kuht.« »Ja, Nickel!« schrie die wütende Mutter, »ja, tas dath 'ch: was för 'n krooß Unheel war'n aber tabei, heh? 'ch war schon acht Tage vorhin en ehrliche Frau kemacht worden. Un wänn du ooch met Ehrn unner te Hauben kommen thätst: so sollt's mech net ärgern; schär mech nichts drum. Aber näh, ta muß sie's met 'm Jonker vom Aetelhoff ufnähm'n, tie albern Pälmke; un nu kregt s' en Huhrkind! Ja! Luder! 'n Huhrkind kregste! un wär kann sich's understöhn, mir tas nachzesag'n, mir! he?«

In dieser Lage fand der schwarze Jakob die Seinigen, als er wegen der vorhin erwähnten Verrichtung in seinem Hause anlangte. Seine Frau und drei Töchter sprachen alle auf einmal und zugleich, und zwar die meisten aus voller Lunge; er mußte also eine ziemliche Zeit harren, bis er sein Wort anbringen konnte; sobald er aber eine kleine Pause wahrnahm, erzählte er der Gesellschaft, was ihm Sophie gesagt hatte.

Nun fing die gute Frau Seegrim erst recht an, ihrer Tochter die Epistel zu lesen: »Ho'! 'n lustige Patsche is es, ta tie Schandbalg ons nein führt! Was wert nu Vröhl'n von dein'n Tambursack sag'n. O, taß 'ch so 'n Schimpf erleben muß!«

Molly antwortete mit großer Keckheit: »Was is es tän for'n fornähmer Tienst, den Fatter for mech kefunden hat? (denn er hatte nicht recht verstanden, was Sophie mit den Worten, ›zu ihrer eignen Aufwartung‹, hatte sagen wollen) 's werd wohl uf'ne Küch'nmagd, unner der Köch'n n'aus loofen. Aber, näh, 'ch will keen'n Menschen te schmutz'gen Teller ufwasch'n, tas will 'ch net. Mein Jonker werd' mech kans pesser versorg'n. Ta säht, was 'r mirr noch heint' Nachmeddag keköb'n hat; 'r hat mirr wohl versproch'n, taß mirr's nimmer an Kält fehlen soll, tas gloob' ech! Un ehr, Mutter, soll's ooch net an Kält fählen, wann's nur ehre Zunge zahm'n kann, un sich's will wohl sein lass'n!« Und indem sie so sagte, zog sie verschiedne Goldstücke hervor und gab der Mutter eins davon ab.

Das gute Weib fühlte nicht so bald das Gold in ihrer Faust, als sich ihr Zorn (so mächtig wirkend ist diese Panacee) zu mildern anfing. »Aber, Mann!« sagte sie, »warste ooch nicht 'en rechter[152] Pinselstiel! nicht e'mal zu frag'n, was för'n Tienst 's war, eher'n für Tochter Molly annahmst? Wer weiß, ob's net in'ner Küch'n is? Wie's Tochter Mahry sagt'. Un, ja wahrhaftig, zem Aschenbröd'l iß se mir doch ooch ze saur geworden, uf te Welt ze setz'n. Tänn, so arm ich pin, so stammte 'ch toch von wohl kuter Vammilje. Obschons, weil mein Vatter, das ein geistlicher Djaknus war, mir keine große Brautschatzung nachließ; Gott hab'n selig! als er starb hatt er net so viel, taß mirr'n kaum unner de Erde pringen konnt'n – ja, so wollt' ich sag'n, taß ich mich so wegwerf'n mußt, 'en armen Schlucker von Jäger zu frei'n: so trag' ich mein' Nas' toch eb'n so hoch, als all solch vornehm Volks. Sieh doch, daß dich te Hunde nich peissen! Se thäte pesser, Vröle Western, wenn s' nich so dick thäte, und pedächt, wer tänn er Kroßvatter war. Kewisse Leute, von unser Vammilje sollt 'ch meenen, konnt'n wohl in Gutsch un Karreten fahren, wenn te Kroßvätter von andren, tie nun's krosse Maul hab'n, ver petz post lohren gingen. Je, meen Treu! meent, wohl Wunder, was se kethan hat, taß se uns tie alte Fahne von Kleed schickte. Mancher von mein'r Vamilje hätt solch'n Bettel nich von'r Kassen ufkehob'n; aber an armen Leut'n will all's die Füße wischen! – Tie Kirchleut brauchten's och nich so 'n Spektakel über Molly ufzehüb'n. – Hätts tem Pack wohl sagen könn'n, Kind, tas dein Frau Kroßmama viel pess're Kleeder trug; un alles bar von d'r Ellen. Sie dah!«

»Nun, gut!« schrie Jakob, »aber denk' nur drauf, was soll ich dem Fräulein für Antwort bringen?« »Antwort? hem, was ze Antwort da!« sagte sie; »ich wees keene! Er führt seine Vamilje immer so, taß te Ochsen an Berge stihn. Weist's noch, als du's Feldhuhn stipitztest? Riet ich tir nicht, sollst dich für Junker Westers Wildzahn hüten? Sagt' ich's tir net manch lebes Jahr voraus, wie's keh'n würd'? Aber da bestund 'r uf sein'n tummen sechs Sinnen! Ja, ja! that's du's nicht? Du – Lotterbub, du. –«

Der schwarze Jakob war, im ganzen genommen, eine friedliche Haut von Kerl, und gar nicht hastig oder jähzornig: doch trug er sich so mit etwas herum, das die Alten glubtückisch nannten; und welches seine Frau, wenn sie mit mehr Weisheit begabt gewesen wäre, gefürchtet haben würde. Er hatte aus langer Erfahrung bemerkt, daß, wenn der Sturm anfing heftig zu werden, alle seine vernünftigen Vorstellungen nur als Winde wirkten und ihn eher wütender machten, als daß sie ihn legen sollten. Er ließ sich deshalb selten ohne eine kleine Haselgerte finden, ein niederschlagendes Mittel, dessen wundervolle Kraft er aus öftern Versuchen kannte, und über dessen nötige Anwendung ihm das Wort Lotterbube einen Naturwink zu geben schien.[153]

Dies Symptom hatte sich also nicht so bald hören lassen, als er unverzüglich zum Gegenmittel griff; es ging nun freilich damit wie mit allen sehr wirksamen Arzneien, und es schien das Uebel nur ärger zu machen; allein es brachte doch bald eine gänzliche Stille hervor und verhalf der Patientin zu einer völligen Ruhe.

Bei alledem ist dies doch so eine Art von Pferdekur; es gehört eine sehr starke Konstitution dazu, um sie an sich probieren zu lassen, und ist daher auch nur für den gemeinen Mann, es sei denn in dem einzigen Falle, wenn das Vornehmere von Herkunft zum Ausbruch käme. In einem solchen Kasu würde es nach unsrer Meinung mit Fug und Sicherheit von jedem Ehemanne, ohne Unterschied des Standes, anzuwenden sein, wenn nicht die Operation an sich selbst so niedrig wäre, daß sie (sowie gewisse andre, nach Verordnung des Arztes, von denen man nicht einmal gerne spricht) die Hände, die sich damit abgeben, so sehr erniedrigt, daß kein Mann, der auf Ehre hält, den bloßen Gedanken an etwas so Gemeines und Abscheuliches ausstehen kann.

Die ganze Familie war sehr bald wieder in einen völlig ruhigen Zustand versetzt; denn die Kraft dieser Medizin wird oft, gleichwie die Kraft der Elektrizität, durch eine Person vielen andern mitgeteilt, die selbst die Maschine nicht berührt haben. Die Wahrheit zu sagen, entsteht bei mir ein Zweifel, ob nicht beide Kräfte, da sie beide durch Friktionen operieren, etwas Analoges haben sollten? und Herr F. würde wohl thun, sich hiervon überzeugen zu lassen, bevor er die nächste Edition seines Buches über die Elektrizität herausgäbe.

Nunmehr ward der geheime Rat gehalten, in welchem, nach vielen Debatten, Molly darauf beharrte, daß sie nicht in Dienste gehen wollte, und also endlich der Schluß gefaßt wurde, Frau Seegrim sollte selbst Fräulein Western aufwarten und die Stelle für ihre älteste Tochter zu erhalten suchen, welche eine große Bereitwilligkeit bezeigte, sie anzunehmen. Aber das Glück, welches dieser kleinen Familie gar nicht günstig schien, schob nochmals einen Riegel vor ihre Beförderung.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 1, S. 151-154.
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